Paul Quappe
Ich war einmal eine Quappe. Eine kleine, süsse und quirlige Quappe. Und jetzt sehen sie sich an, was aus mir geworden ist. Sie fragen sich sicher, wie es dazu kommen konnte. Ich werde es ihnen erzählen.
Es ist schon ewig her, Monate, ja wahrscheinlich sogar mehr als ein halbes Jahr. Ich erinnere mich noch sehr gut. Es war März oder April. Die Luft war kühl, doch ein angenehmer warmer Wind kitzelte bereits die ersten Blumen aus der feuchten Erde.
Damals war ich gerade einmal ein paar Tage alt. Ich hockte in meiner Blase, umgeben vom glibbrigem Laich meiner Geschwister.
Ich hatte es gemütlich, war nicht allein und doch allein genug. Sie verstehen, was ich meine. Es konnte mir keiner auf die Eier gehen. Jeder hockte in seiner eigenen Blase, nur gedämpfte Geräusche und Gekicher aus der Mädchenecke waren zu hören. Blickkontakt, ja, dummes Gelaber, nein.
Ich vertrieb mir die Zeit mit herum schwimmen, mal links herum, mal rechts herum, und wenn ich ganz crazy drauf war, schlug ich sogar Achten.
Doch wie das Leben einem so mitspielt, wenn man es gerade am Schönsten hat, platzen auf einmal alle Blasen. So auch meine und was noch schlimmer war, fast gleichzeitig, die meiner paar hundert Geschwister. Und plötzlich schwammen wir alle im Laichgallert herum, wussten nicht wo hin. Es war alles so neu, so anders. Panik machte sich breit. Der Schleim, der aus den Laichblasen entstanden war, war zäh, wie Entenschnodder. Wer da nicht ehrgeizig war, blieb einfach stecken.
Ich hatte gut trainiert, mein Schwanz war kräftig, ich will nicht protzen, aber ich war wohl der Kräftigste der ganzen Sippe. Zumindest hatte ich es mit ein paar wenigen anderen als erster geschafft dem Schnodder zu entkommen. Hilflos zappelten einige meiner Geschwister hinter mir im Schleim herum.
Doch ich hatte es geschafft. Ich schoss, wie ein in die Freiheit entlassenes Wildpferd davon in das kühle, klare Wasser des Sees. Bisher hatte ich nicht viel von meiner eigentlichen Umgebung gesehen. Meine Blase lag gut eingepackt von dutzenden anderen Blasen mitten im Laich.
Wie herrlich es war, nun befreit von der zähen Masse und uneingeschränkt frei im Wasser davon zu schiessen, Purzelbäume zu schlagen, aufzutauchen, abzutauchen und alles zu erkunden.
Es gab viel zu entdecken in meinem kleinen Tümpel. Denn ich gebe es zu, jetzt mit etwas Abstand betrachtet, war der für mich damals als unendliches Meer gesehene Gartenteich, nicht mehr als ein kleiner Tümpel. Aber ich war ja noch eine kleine Quappe, was wusste ich denn schon von der Welt?
Ich machte mich nicht gleich sofort auf Entdeckungstour, das muss ich zugeben. Denn ein bisschen beängstigend war es schon, plötzlich soviel Raum im sich zu spüren. Ich liess mich in der Nähe meiner Geschwister an der Oberfläche treiben. Genoss die Sonnenstrahlen, die durchs Wasser schienen und Zentimeter für Zentimeter den Teich langsam aufwärmten.
Am Ufer flirten Millionen winziger Algen durch das Wasser. Ich beobachtete, wie ein paar meiner Geschwister danach schnappten. Und als sie Minuten später immer noch keine Krämpfe verspürten, probierte ich es auch. Ich bin nicht feige, aber ich bin auch kein Vollidiot. Vorsicht und Achtsamkeit kann nie schaden.
Das Zeug war nicht übel. Ich schlug mir den Bauch voll und drehte dann kleine Kreise durch den Teich. Es war, wie gesagt nur ein kleiner Gartenteich. Was konnte man da schon erwarten? Haie? Kraken? Meerjungfrauen?
Aber es war nicht uninteressant. Und da es weiter unten auch immer dunkler wurde, war es auch etwas unheimlich. Ich sah Bewegungen da unten. Bewegungen in der Tiefe. Langsam schlängelte ich mich an einem Seerosenstengel nach unten. Stille umgab mich. Das Wasser war hier viel kühler.
Hinter einem Stein lauerte etwas. Grosse Augen sahen über den Stein hinweg. Fühler zuckten nervös. Nein, das war mir dann doch zu gefährlich. Irgendetwas sagte mir, der hat es auf dich abgesehen. Ich tastete mich wieder nach oben. Am Grund gab es Dinge, mit denen ich lieber keine Bekanntschaft machen wollte.
Also lebte ich mit meinen Geschwistern an der Oberfläche unter Blättern und in Ufernähe. Das war schön. Doch es gingen Gerüchte um. Die von unten kommen leise, heimtückisch und schnell. Wenn du nicht aufpasst. Schnapp, und weg bist du.
Ich glaubte es zunächst nicht, hatte ich doch genug mit mir selbst zu tun.
Mir wuchsen nämlich eines Tages, völlig unerklärlich links und rechts, neben meinem Schwanz zwei Beine aus der Hüfte. Na was sollte ich denn damit anfangen? Doch ich merkte schnell, das die gar nicht so übel waren. Ich konnte mich schneller durchs Wasser bewegen. Und mit einigen Kollegen bin ich auch ab und zu durch einen dünnen Wasserfilm über ein Seerosenblatt geschwommen. Die Sonne schien so heiß auf meinen Rücken, dass ich jedes Mal froh war, wieder ins Wasser einzutauchen.
Kurze Zeit später kamen ganz ähnliche Gewüchse unterhalb meines Kopfes hervor. Langsam wurde mir das zu viel. Wenn da nun ständig irgendetwas aus mir rauswächst? Es war eine schwierige Zeit. Ich war so mit mir beschäftigt gewesen, dass ich nicht bemerkte, wie sich unsere Zahl drastisch minimiert hatte. Von meinen hunderten von Geschwistern, waren nur noch so wenig da, dass ich froh sein konnte bei meinen Spazierrunden überhaupt auf einen von ihnen zu treffen.
Wo zum Teufel waren denn alle?
Diese Frage hämmerte Tag und Nacht in meinem Kopf. Hatte es mit den Dingen, die in der Tiefe lauerten zu tun? Oder waren sie nur abgehauen, hatten mich und einige andere zurück gelassen? Nein, das konnte ich mir nicht vorstellen. Es musste etwas schreckliches passiert sein. Und ich wollte herausfinden was es war.
Darum auch der dämliche Aufzug heute. Damals entschloss ich mich Detektiv zu werden. Und was braucht ein richtiger Detektiv? Genau, einen karierten Hut, eine Pfeife und eine Lupe. Natürlich sieht das alles bei einem Frosch eher unpassend aus. Doch was kann Frosch denn für Berufsbekleidung.
Ich wollte die Sache in die Hand nehmen. Denn schliesslich hatte ich diese Dinger ja zu irgendeinen Zweck bekommen, die Hände meine ich. Und ich muss sagen, um eine Lupe zu halten, sind sie schon sehr praktisch.
Als sich auch noch mein Schwanz zurückbildete, war ich vollends überzeugt, hier stimmt etwas nicht. Irgendeine andere Macht muss da am Werk sein. Vielleicht Aliens. Die einem Hände wachsen lassen und Schwänze manipulieren. Und die meine Geschwister entführt hatten.
Allerdings erklärte mir eines Tages ein Wasserläufer, dass das mit den Gliedmassen und dem Schwanz ganz normal sei, für Frösche, bzw. Kaulquappen. Erst Quappe, dann Schwanz weg, Beine dran und schliesslich ist man ein anderes Lebewesen. Aber bin ich denn wirklich ein anderer? Nein. Und dass auf einmal ein Grossteil meiner Familie verschwunden war, erklärte sich dadurch auch nicht.
Und nun frage ich sie, was könnte meinen Brüdern und Schwestern zugestossen sein? Was zur Hölle lebt da unten in der Tiefe? Denn das es damit zusammenhängen musste, war mir inzwischen klar geworden. Ich werde es ihnen verraten.
Als von meinem Schwanz nicht mehr, als ein Stummel übrig war, reichte es mir. Ich verliess den Tümpel. Nichts konnte mich hier je wieder hinführen. Aber ich irrte mich. Natürlich blieb ich in der Nähe. Tag für Tag sass ich am Ufer, quakte auf die Oberfläche und hoffte einen von ihnen wieder zu sehen.
Eines Tages schwirrte eine Libelle über die glatte Oberfläche des Teiches. Sie erzählte, dass sie jedes Jahr einmal vorbei kam, für ein paar Tage und nach ihren Larven sehen würde. Diese lebten am Grund des Teiches und eines Tages würden sie genauso schön und elfenhaft durch die Sonne schwirren, wie sie.
Am Grund des Teiches lebten also Libellenlarven, interessant. Ich tat, als würde mich ihre Geschichte interessieren, quakte ihr was, von weitgereist und zur Erholung hier, vor und fragte nach ihrem Nachwuchs.
Es stellte sich heraus, die Libelle war ziemlich dumm und erzählte mir alles, es stellte sich also heraus, dass Libellenlarven am liebsten Kaulquappen fressen. Kaulquappen! Und was dachte, die hirnlose Ausgeburt einer Sonnenelfe, was ich in meinem früheren Leben gewesen war? Ich sag es ihnen. Nichts, sie dachte nichts. Tanzte in der Sonne und schwirrte davon.
Ich aber hatte nun die Mörder meiner Geschwister. Ich musste nur noch warten, bis sie an Land kommen würden und dann, ja dann würde ich ihnen aber was vorquaken. Das aber, wird wohl noch ein, zwei Jahre dauern. Mittlerweile habe ich nämlich heraus gefunden, dass diese Art von Libellen mehrere Jahre im Larvenstadium verbringen und tausenden Kaulquappen das Leben kosten werden.
Ein gutes hatte das alles allerdings gehabt. Ich habe meine Berufung gefunden und das kann nicht jeder Frosch von sich behaupten.