Der Weihnachtswichtel

Der Weihnachtswichtel

Da ist es schon wieder Weihnachten. Auch ich konnte mich dem nicht entziehen. Magisch klebt es an mir, wie der Plätzchenduft und die Dekosterne der selbstgebastelten Grusskarten. Aber es packt mich jedes Jahr. Ich sitze gern im Kerzenschein und bastle kleine Adventssterne. Im Hintergrund gibt die Stereoanlage die alljährlichen Weihnachtslieder völlig selbständig wieder. Ich brauche nur die CD's daneben stellen und schon tüdelt sie los. Ach, es könnte so schön sein, Weihnachten. Das Fest der Besinnlichkeit, der Harmonie. Bis dann drei wild schreiende Halblinge durch die Wohnung stürmen und ihr Basislager im Wohnzimmer aufschlagen. Dort wird dann mit gelegentlichen Einwänden, die niemand hört, der Kampf der Einmetergiganten ausgetragen. Gut, meine Stimme ist nicht die lauteste. Nicht mal, wenn ich mich wirklich bemühe. Bing Crosbys „White Chrismas“ ist schon lange nicht mehr zu hören, auch wenn der Lautstärkenregeler auf Anschlag steht. Das ist der wahre Weihnachtsklang, der durch die Lüfte schwebt. Ich atme tief durch, schalte das Radio aus und versuche meine Adventssterne zu retten, bevor das Kriegsgeschehen auch noch den Tisch mit einbezieht. Zu spät. Als Fluggeschoss landet ein Kuschelelch in meiner Teetasse. Leider ist sie für Tiere dieser Größenordnung nicht ausgelegt. Sie kippt und ergießt den Tee über das Bastelpapier inklusive fertige Sterne.

Jetzt bin ich so richtig in Feiertagsstimmung. Die Rasselband schließt schnell Frieden und zieht alle Truppen ab. Allein im Wohnzimmer kann ich das Schlachtfeld aufräumen. Der Tee verströmt derweil sein feiertägliches Zimtaroma über die Adventssterne.

Das liebe ich an Weihnachten. Ist es nicht die Zeit in sich zu gehen, Ruhe finden, sich auf das Wesentliche zu Konzentrieren?

Und das Wesentliche an Weihnachten ist natürlich der Weihnachtsbaum. Naja, zumindest gehört er zu den wesentlichen Vier; Baum, Geschenke, Essen und Weihnachtsstimmung, meist durch das singen von Weihnachtslieder zelebriert. Das sind die wesentlichen vier Dinge. Die Weihnachten zu dem machen, was es ist, ein besinnliches friedliches Familienfest.

Das Erste, der Weihnachtsbaum. Ich liebe den Weihnachtsbaum. Aber schon der Kauf erweist sich stets als Kunststück. Sieht doch jeder Baum auf den Märkten im Halbdunkel gleich aus. Dieses Jahr stellen wir den Baum auf das kleine Tischchen. Er braucht also nicht groß sein. Und hinten etwas flacher, damit er nicht das ganze Zimmer zustellt. Aber so einen Baum gibt es nicht. Ich habe gesucht, tagelang, bei jeden Baumverkäufer. Alle Bäume sind fast 2 m groß und schön gleichmäßig gewachsen, wie der Verkäufer mir stolz erklärt. Gut, aber ich will eine Fichte. Eine echte grüne stechende Fichte. Klar sie nadelt schnell. Aber der Baum soll ja nicht für die Ewigkeit sein. Fichte? Nein Fichten haben wir nicht, nur Nordmanntanne und Blautanne. Grrr. Und jedes Jahr erkläre ich dem Verkäufer dann verständnisvoll, dass die Blautanne eigentlich eine Blaufichte ist. Ich erläutere dem Verkäufer lang und verständlich die Unterschiede zwischen Fichte und Tanne. Und zeige ihm am vorliegenden Beispiel, dass es sich im vorliegenden Fall um eine Blaufichten handelt. Der Verkäufer starrt mich entgeistert an. Und frag dann, ob ich diese Blautanne haben möchte. Ich verdrehe die Augen über soviel Fachkompetenz, bezahle viel zu viel Geld für die falsche Tanne. Und stopfe sie zähneknirschend ins Auto. Zu Hause wird erst mal das Wohnzimmer um geräumt. Dieses Jahr muss ich mit der Tradition des nachweihnachtlichen Umräumens der Wohnung brechen. Weil sonst der Baum nicht im Wohnzimmer aufgestellt werden kann. Und dann überlasse ich den Baum seinem Schicksal. Traditionell kommt in der Nacht der Weihnachtswichtel. Der dekoriert dann mit selbstgebastelten Adventssternen und anderen Kleinigkeiten den Baum. Leider sind die Kinder in den letzten Nächten nur schwer ins Bett zu kriegen. Und nachdem der Kleinste gegen 22 Uhr das letzte Mal um die Ecke gesprungen ist, um den Weihnachtswichtel zu überraschenm, kann ich mich dann halb Elf in der Nacht daran machen den Baum zu putzen. Leise schleiche ich mich auf den Speicher und hole den Dekorationskarton runter. Da ich das sowieso am besten kann und mein Mann mir eh nichts recht macht, bleibt er lieber auf der Couch sitzen und beobachtet die gegnerische Grenze. Sagt er. Mitternacht erstrahlt dann unsere Blaufichte im Lichterglanz. Ein paar Lamettafäden liegen auf dem Boden verstreut. Aber ansonsten perfekt. Die Kinder werden staunen.

Und nicht nur die Kinder, auch wir staunten nicht schlecht, als wir am Morgen aus dem Bett gebrüllt wurden.

Ja, wir haben zwei Katzen. Aber das hätte ich nicht erwartet. Die Katzen sind nicht neu und Weihnachten feiern wir auch jedes Jahr. Also warum? Warum? Der ganze Baum lag quer im Wohnzimmer und all der Weihnachtsschmuck kullerte über den Boden. Die Schokoladenanhänger waren aufgerissen und angeknabbert. Und die letzten Adventssterne die das Wohnzimmerteemassaker überlebt hatten lagen nun zerfetzt auf dem Laminat. Und die Kinder saßen mit schokoladenverschmierten Gesichtern um den Baum und verzehrten die angeknabberten Schokokringel. Na schöne Weihnachten! Die Kinder waren sich einig. Der Weihnachtswichtel ist wütend geworden und hat den ganzen Baum umgeschubbst. Und das nur weil er sich an den gickeligen Baum immer gepikst hat. Und nun tun ihm die Hände so weh, dass er keine Geschenke mehr basteln kann! Ich versuchte die Schokomonster zu beruhigen. Wir stellen schnell den Baum gemeinsam auf, dann freut sich der Wichtel. Und so zusammen macht das sicher ganz viel Spaß. Aber die Kinder hatten keine Lust auf den doofen Stachelbaum. Und so stand ich da und putze den Baum ein zweites Mal. Mein Mann kümmerte sich um die Schokoschnuten und machte uns ein kleines Frühstück. Die Kinder hatten kein Hunger mehr und außerdem müssen sie gerade ganz was wichtiges spielen. Der Kaffee tat gut. Ein wenig Weihnachtsruhe, vor dem Sturm.

Zweitens, die Geschenke! Die Kinder haben ganz unbegründet Angst um ihre Geschenke. Hat doch der Weihnachtswichtel diese schon vor Wochen gebastelt. Oder besser gesagt gekauft.

Ich setzte mich also nach der Ersten Kerzenentzündeaktion mit den Halbwilden um den Küchentisch und schrieb ihre Wunschzettel für den Weihnachtsmann. Draußen dämmerte es längst und die ersten Weihnachtsplätzchen verströmten appetitliches Butteraroma. Die Liste wurde immer Länger und die Wünsche immer ausgefallener. Da war das Playmobil-Einkaufzentrum, die Lego Star Wars Edition und noch der Ponyhof, sämtliche Barbys samt Zubehör, eine Kinderküche mit Putzwagen, Feenbogen, Cd's, Bücher und wenn der Wichtel schon mal dabei ist ein MP3 Player und ein Pferd oder ein Pinguin noch das geringste.

Auch wenn ich den Kindern immer wieder erkläre, dass das etwas viel wäre und der Weihnachtswichtel das alles gar nicht schaffen könne und dass das nur eine Wunschliste ist, kein Bestellzettel, so meinen doch die lieben Kleinen ganz bescheiden, der Weihnachtswichtel schafft das schon, der kann ja zaubern.

Vielleicht kann der Weihnachtswichtel zaubern, ich aber nicht. In der darauf folgenden Woche schiebe ich also den übergroßen Einkaufwagen durch das Weihnachtsgetümmel auf der Suche nach einigen kleineren Dingen der Wunschliste. Und zu den Geschenken für die Kinder kommt noch das für den lieben Gatten. Was schenk ich bloß meinem Mann? In Schweißströmen völlig aufgelöst packe ich nach 3 Stunden Einkaufsmarathon die Tüten von der Kinderbestellung ins Auto. Schmeiße meinen Mantel darüber und gehe zurück zum Fahrstuhl. Nun einmal ganz in Ruhe durch das Einkaufzentrum bummeln, darauf freue ich mich sogar. Aber schon bei der ersten Gelegenheit falle ich erschöpft in den runden Ledersessel eines Cafes. Bei einem Late macchiato wird mir vielleicht einfallen was ich meinem Mann schenken könnte. Ich blättere nebenbei in der Kaufhauswerbung. Und blicke mich ratlos nach den umliegenden Geschäften um. Nach dem Kaffee schleiche ich schon etwas entmutigt an den Schaufenstern der bunt blinkenden Elektrogeschäfte vorbei. Bei technische Dingen hab ich zu wenig Ahnung, um was wirklich sinnvolles zu kaufen. Aber vielleicht was zum anziehen? Ein Pullover hatte ich letztes Jahr schon geschenkt. Ein Buch? Aber ist das nicht zu wenig? Whisky? Aber welcher schmeckt meinem Mann. Und außerdem sind die meisten Sachen viel zu teuer. Diesen Eindruck hat mir schon das ganze Spielzeug vermittelt. Kaum was das als Weihnachtsgeschenk  taugt und unter 100,- kostet.

Nach einer Stunde herumbummeln trage ich mein letztes Geschenk in einem kleinen Tütchen in die Tiefgarage. Und ab nach Hause. Nun noch alles unauffällig im Keller verstauen und irgendwann nachts hübsch festlich einpacken. Der arme Weihnachtswichtel! Ob er immer so viel Stress hat?

Drittens, das Weihnachtsessen. Bevor ich das planen kann, muss geklärt werden, wer kommt alles? Die Eltern und Schwiegereltern, meine slowenischen Großeltern und meine kleine Schwester, mit oder ohne Anhang? Eine große Meute kulinarisch zu Frieden zu stellen und dabei Gelassen zu wirken ist eine Kunst. Damit man vom Essen auch so richtig was hat, gibt es natürlich drei Gänge. Suppe, Hauptgericht und Dessert. Und damit ich vom Kochen auch was habe, fange ich schon zwei Tage vorher an.

Aber was soll es geben? Meine Schwester isst nur vegetarisch, meine Tochter auch, aber dann mit Fleisch. Meine Großeltern essen traditionell Fisch und russischen Salat, als Vorspeise Oblaten mit süßem Honig. Meine Eltern lieben Gans oder Wild. Unsere Schweizer Bekannten essen eher zu Weihnachten immer Fondue Bourguigonne. Und was koche ich? Ich fang mit dem einfachsten an dem Dessert. Ich mache meine Spezialität Mascarpone-Bayliscream-Cup. Den kann ich einfrieren und am Weihnachtsmorgen dann auftauen. Dann die Suppe. Ich stöbere in den Kochbüchern und finde eine winterliche Karotten-Orangencremesuppe. Das klingt gut. Und sieht schön farbenfroh aus. Dazu passen sicher auch die Honigoblaten. Und nun das Hauptgericht. Fisch für Oma und Opa. Das wird wohl die gebackene Scholle werden. Für die Fleischliebhaber ein Zwiebelrostbraten, dazu dann Kürbisnudeln und zur Scholle gibt’s Salzkartoffeln und für die Vegetarier noch ein Feta-Zucchini-Auflauf.

Nach zwei Tagen Vorkochen und kochen, ist die Küche am Weihnachtsmorgen ein einziges Chaos. Die Halblinge springen in ihren Schlafanzügen und mit Feenbogen und Holzschwert bewaffnet an mir vorbei, als Nachhut eine stolze Reiterin mit ihrem Plüschpony. Achtung ich schieße! Hör ich den Pfeil an mir vorüber rauschen und in meiner gerade erst aufgestellten Tischordnung landen. Das Pferd folgt dem Pfeil und nicht nur die Tischkärtchen landen auf der Erde. Nachdem ich dann in feiertäglichem Befehlston die Jagdgesellschaft wieder ins Kinderzimmer verbannt habe, knie ich zwischen den Scherben. Mein Mann springt mir bei und räumt den Rest weg, damit ich den Tisch wieder mit neuem Geschirr herrichten kann.

Es klingelt! Ich verschwinde im Bad und schicke meinen Mann zur Tür. Nur ein bisschen zurecht machen und etwas hübschen anziehen. Als es immer lauter wird im Wohnzimmer, kann ich mich nicht mehr verstecken. 20 Minuten später betrete freudestrahlend das Wohnzimmer. Folgende Szenerie breitet sich vor mir aus.

Mein Großvater zerrt am Weihnachtsbaum, um die Beleuchtung zu entfernen. Zu seiner Zeit waren das immer richtige Kerzen. So wirkt das nicht sehr feierlich mit den ganzen Kabeln. Und das Licht sei auch nicht schön. Mein Vater versucht ihn davon abzuhalten. Meint aber, dass die Lichter nur etwas anders angeordnet werden müssten. Nun machen sich die beiden Männer daran meinen Baum abzuputzen. Meine Großmutter fängt dabei die Kugeln auf. Und sortiert diese woanders hin. Und meine Schwiegereltern streiten sich um das Lametta. Meine Mutter kommt völlig aufgelöst aus der Küche, und meint sie könne die Gans nicht finden. Die Kinder jagen sich um den Baum und wickeln dabei ihre Urgroßeltern mit der Lichterkette ein. Schön beleuchtet stehen nun Baum und Großeltern im Wohnzimmer und aus dem Radio klingt eine weihnachtliche Melodie „Sind die Lichter angezündet“. Ich stimme mit ein „...Friede kehrt in jedes Haus.“ Und auch die Kinder werden ruhig und summen mit, „...Weihnachtsfriede wird verkündet...“. Mein Jüngster blickt mich strahlend an und sagt, „ Mama, dieses Jahr hat der Weihnachtswichtel sich aber ganz viel Mühe gegeben.“

Nach dem Lied werden erst die Großeltern ausgewickelt, dann die Geschenke. Es wird ruhig und weihnachtlich. Das Essen scheint allen zu schmecken, auch ohne Gans. Und im Stillen danke ich dem Weihnachtswichtel. Ja, in diesem Jahr hatte er besonders viel Mühe, aber es ist ihm wieder alles gut gelungen.


Fröhliche Weihnachten!