Der Traum von Freiheit
Mein Abendspaziergang führte mich ohne Ziel durch die offene Gegend. Der Himmel in einem ausgewaschenem Blau zählte nur wenige Wolken. Und in der drückenden Abendluft zwitscherten einige Vögel träge ein Gute-Nacht-Lied. Ich näherte mich einer kleinen Ortschaft. Das Erste, was mir auffiel, war der beissende Geruch. Vor einem dünnen Zaun stand neben einem Brunnen eine Bank.
Oft schon hatte ich in früheren Jahren auf solchen Bänken gesessen. Meist eng umschlungen mit einem lieben Menschen, dessen Bild über die Zeit hinweg nun verblasst war. Doch die Erinnerung, mag sie auch blass sein, war mir geblieben. Und so setzte ichmich auf die Bank, um die Bilder aufzufrischen.
Schon lange war ich gelaufen, zu lange für einen Spaziergang. Aber mich hielt an diesem Abend nichts imHause. Im Gegenteil, ich fühlte mich davon gejagt, als ob etwas hinter mir stände und mich aus der Tür triebe. Ich lief einfach drauf los. Kilometer um Kilometer. Und nun brannte mir die Füsse auf denschmalen Sohlen. Jetzt wollte ich nur noch rasten und die Füsse kühlen.
Hinter dem Zaum kauten ein paar stattliche schwarzbraune Pferde genüsslich auf ihren Zähnen herum. Die tänzelndenSchritte eines Tieres wirbelnde Staub auf. Andere standen einfach nur träge und mürrisch hintereinander, schwangen ihre langen Schwänze, um die vom Kotgeruch angelockten Fliegen zu vertreiben. Die schwarzen Augen sahen glanzlosaus den tiefen Höhlen des geneigtenKopfes.
Was für ein Trauerspiel, dachte ich. Doch alldas sah das Kind nicht. Unbeschwert tanzte es am Zaun entlang. Rief die eigentlich so edlen Tiere. Dieseschnauften müdeeine unverständliche Erwiderung. Das Kind langte über den Zaun, beugte sich tief ins Gehege, doch das zierliche Ärmchen konnte die Flüchtigen nicht erreichen.
Die kleinen runden Augen leuchteten vor Erregung. Sicherlich träumte das Kind bereits, wie es stolz auf dem Rücken der mächtigen Tiere sass, die Schenkel fest an die Flanken gepresst und die lange Mähne um die kurzen Finger geschlungen. Jetzt jagte es schon davon, sprang über Zäune, flog über Wiesen und preschte durch Gischt schäumende Flüsse. Das Kind juchzte vor Glück. Die kleine Brust bebte bei jedem Schlag, das das Herzchen tat. Es wirbelte wild sein strähniges Haar durch die staubige Luft und sprang vom Zaun herunter um wiehernd Kreise zu drehen.
Dochdie Pferde rührten sich keinen Millimeter. Dieser Tag war heiß, zu heiß gewesen, um erst tatenlos in einer winzigen Arenaherum zu stehen unddann gütig,verschwitzten klebrigen Kinderhänden ein kurzes Streicheln zu gewähren. Die Köpfe im stillen Verständnis aneinander gelehnt und dösend, bis der Tag weichen und die Nacht ihr Blut kühlen würde. Dann träumten auch sie, von der Prärie, vom Grasland und dessen unendlichen Weiten, vom Davonjagen und dem Wind der ihre Mähnen zerzaust. Das Kind aber wird dann in seinem Bettchen liegen, an seinen Haaren riechen und seinen Traum von Freiheit weiter träumen.