Alma und Flora und der Kühlschrank
Es war Herbst. Aber nicht etwa so ein trüber, nasser kühler Herbst. Nein, es war angenehm lau in der milden Herbstsonne. Das bunte Laub, das auf den Wiesen und Wegen lag verströmte einen würzigen Duft und über den blauen Himmel zogen dicke, weiche, weisse Wolken.
Krähen hüpften durch die welken Blätter und wirbelten diese durch die Luft auf der Suche nach Käfern und dicken Larven. Wenn sie etwas gefunden hatten, wurde es ebenfalls durch die Luft gewirbelt, was den einen oder anderen Käfer zur Flucht verhilf, aber auch andere Krähen aufmerksam werden liess. Sie stürzten sich nun in Scharen auf den Blätterhaufen, aus dem der Fund der einen Krähe stammte. Laut krächzten sie und stritten. Schlugen mit ihren Flügeln und empörten sich über die Krähe, die ihren Fund nicht teilen wollte.
Flora lachte über die Krähen. Gab es denn nicht genug Laubhaufen für jede einzelne Krähe? Nein, da stritten sie alle samt um eine kleine Raupe, wo unter anderen Blättern ein ganzes Insektenmenu warten würde.
Die alte Frau ging gemütlich an der Wiese entlang, den Blick auf die dummen Krähen. Sie hatte die Hände auf ihren gebeugten Rücken verankert und schlurfte gemächlich ihren Weg zu Alma.
Wie jeden zweiten Tag ging sie ihre alte Freundin besuchen. An jedem anderen zweiten Tag kam Alma zu ihr. Sie kannten sich schon ein, nein zwei Leben lang, Almas Leben und Floras Leben.
Wenn sich die beiden alten Damen trafen, gab es immer etwas zu erleben. Die merkwürdigsten Dinge kamen ihnen in den Sinn und Flora war auch schon ganz gespannt, was sie heute schönes erleben würden.
Als sie nun um die Ecke der grossen Allee bog und auf Almas kleines Haus zuging, das mit den schiefen Apfelbäumen im Garten, sah sie schon von weitem, etwas war da los. Ihre Augen waren mindestens genauso alt, wie sie selbst. Daher waren sie nicht mehr so aufmerksam, wie früher. Manchmal konnte man ihnen einfach nicht trauen.
Heute war so ein Tag, wo Flora dachte, na na ihr beiden, da nehmt ihr mich jetzt aber auf die Schippe. Aber ihre Augen flunkerten ihr nichts vor. Das was sie sah, war tatsächlich echt.
Als sie näher kam, schon fast vor der klapprigen Gartentür stand, musste sie ihren Augen glauben. Da kam doch tatsächlich ein kantiger, weisser Kühlschrank auf sie zu gewackelt. Der Kühlschrank ächzte und stöhnte. Flora glaubte, gleich würde er auseinander fallen. Doch er blieb nur stehen und seufzte laut.
«Alma? Alma? Bist du das?», fragte sie den Kühlschrank.
«Bin ich was? Ein Kühlschrank? Nein. Wieso sollte ich denn bitte schön plötzlich das Bedürfnis haben ein Kühlschrank sein zu wollen?» Alma kam hinter dem Kühlschrank hervor. Sie hatte das schwere Geräte den ganzen Weg durch die Küche, die drei Stufen der Veranda hinunter und den Kiesweg bis zum Gartentor geschoben. Nun brauchte sie eine Pause.
«Und was sagst du?», wollte sie von ihrer Freundin wissen. Sie schob sich den lossen Haarknoten zurück auf den Hinterkopf und schnaufte genüsslich.
«Ja, was sage ich. Hmmm, lass mal sehen.» Flora ging um den Kühlschrank herum.
«Etwas staubig. Aber sonst, ja ist in Ordnung. Aber es wird doch eh bald Winter, was willst du da mit einem Kühlschrank im Garten?»
«Das wirst du gleich sehen.» Alma rannte, so schnell sie es auf ihren Pantoffeln konnte, ins Haus zurück. Nun polterte es drinnen. Dann Stille. Und dann schoben sich vier hölzerne Beine aus der Tür auf die Veranda. An der Tischplatte klebte Alma, die den Tisch nun hinunter in den Garten bugsierte und gleich neben den Kühlschrank stellte. Dann schoss die rüstige Alte in ihrem Häkelpulli wieder die Verandastufen hoch, holte zwei Stühle, dann zwei Teller, Kuchengabeln, Tassen und eine Thermoskanne mit heissem Kaffee.
Schliesslich hängte sie ein Schild an den Kühlschrank, der direkt neben dem Gartentor stand und liess sich erschöpft auf einen der Stühle fallen. Flora hatte das ganze Schauspiel interessiert beobachtet. Sie stand nach vorgebeugt am Gartenzaun und las nun das Schild.
«no food waste»
«No food waste. Das ist englisch und heisst, kein Essen verschwenden», erklärte Alma. Sie sass nun erwartungsfreudig auf ihrem Stuhl und wackelte aufgeregt mit dem ganzen Körper.
«Ja, und?» Flora verstand nicht, schob sich aber am Kühlschrank vorbei und liess sich ebenfalls auf einen Stuhl fallen. Sie streckte ihre Füsse samt Wollsocken aus und wackelte mit den Zehen.
«Meine Tochter hat mir das erzählt. In der Stadt haben sie auch sowas, einen Kühlschrank für «No food waste». Da bringen dann die Leute und Geschäfte Lebensmittel hin, die sie nicht mehr brauchen, die aber noch nicht schlecht sind. Die man noch sehr gut essen kann.»
«Aha.»
«Ja, und da dachte ich, das kann man doch auch hier sehr gut machen. Sachen nicht wegwerfen.»
«Und der Tisch und der Kaffee und die Kuchengabeln?» Flora betrachtete nachdenklich die kleine silberne Gabel in ihrer Hand.
«Die Liesel, die macht doch immer so leckere Torte. Und neulich hab ich gehört, wie sie sich darüber beschwert hat, das bei ihr niemand die Torte isst. Immer bleibt soviel übrig. Und das wo sie sich doch immer so viel Mühe gibt.»
Über Floras Gesicht breitete sich ein grosses Lächeln, der Verständnis und Zustimmung aus. Wenn es etwas gab, was sie noch lieber mochte, als die Tage mit Alma, war es Torte. Und noch besser Torte zusammen mit Alma essen. Ja, das wird fein.
«Du hast die Kaffeesahne vergessen», fiel ihr plötzlich auf. Und apropos Sahne, da fiel Alma noch etwas ein. Die beiden Frauen huschten schnell zurück ins Haus. Plaudern schlugen sie noch Sahne auf, stellen sie mit feinen Zuckerwürfeln und der Kaffeesahne aufs Tablett und trugen alles wieder nach draussen.
Dann sahen sie im Kühlschrank nach, ob da schon die Torte von Liesel drin stand.
Ojee, was war denn das? Ungläubig zog Alma ein Bund schrumpliger Möhren heraus. Flora fing drei erdige und bereits keimende Kartoffeln auf, die mit den Möhren heraus gekullert waren. Enttäuscht legten sie die Sachen wieder hinein.
«Ich habe noch leckere Butterkekse im Haus», sagte Alma. Flora nickte glücklich. Sie legte ihre Hände auf den Rücken ineinander und folgte leicht vorn über gebeugt der Freundin zurück ins Haus.
Als sie vom Stuhl kletterten. Flora musste Alma etwas hochschieben, denn die Kekse versteckte Almas immer sehr gut, damit sie nicht alle auf einmal aufass, sahen sie durch das Küchenfenster, wie zwei Kinder vor dem Kühlschrank standen und die Wörter buchstabierten. Ihre Gesichter waren vom spielen aufgeheizt und staubig. Das kleine Kind schob ängstlich seine Hand in die des Grösseren, dann öffneten sie den Kühlschrank und nahmen sich glücklich strahlend die Möhren. Das kleine Kind sammelte die drei Kartoffeln ein, die wieder hinaus gekullert und rollte sie vorsichtig in seinen Pullover.
Die Kinder sahen sich um, dann steckten sie die Finger noch schnell in die Sahne und liefen mit den Sahnefingern im Mund die Strasse hinunter.
***
Alma streckte sich genüsslich auf ihrem Stuhl aus. Flora tunkte einen Keks in den Kaffee und lutschte das Getränk wieder ab.
«Ach, das war doch eine gute Idee, das mit dem Kühlschrank», sagte Alma glücklich und legte die halbvolle Schachtel Kekse in den «No food waste Schrank.»
«Ja. Aber was machst du mit deinen eigenen Lebensmitteln?» fragte Flora zweifelnd.
«Ach, wird doch bald Winter. Die leg ich einfach auf die Fensterbank.» Alma lachte und bestrich ihren Keks mit Sahne.
«Ja, es wird bald Winter.», seufzte Flora und hielt ihr Gesicht und die milde Herbstsonne.