Bienen auf dem Balkon

Bienen auf dem Balkon

Wenn ich Bienen sehe, werde ich immer ganz nervös. Ich weiss nicht, wie es Ihnen geht, aber mich versetzten die kleinen emsigen Flugkünstler regelrecht in Stress. Bereits früh am Morgen, wenn ich im Bademantel mit einer Tasse Tee in der Hand die Rollläden meiner kleinen Zweizimmerwohnung hochdrehe und die Sonnenstrahlen erbarmungslos meine verquollenen Augen malträtieren, fliegen bereits drei Honigbienen mit ihren Körbchen am Fenster vorbei zum Apartment über mir. Da gibt es noch sowas wie Leben. Was man von dem kläglichen Rest meines Basilikums nicht mehr behaupten konnte.

Moment Mal, hab ich da gerade Bienen mit Körbchen gesagt? Ich reibe mir den Schlaf aus den Augen. Blinzle angestrengt nach draussen. Nichts. War ja klar, jetzt verstecken die sich. Blöde Biester. Ich drehe an den Rollläden damit mir wenigstens nur ein Teil der Sonnenexplosionen ins Wohnzimmer folgen kann.

Wieder so ein Tag. Die Bienen haben mit Sicherheit schon ein ganzen Glas Honig bei meinem Nachbar eingesammelt, während ich noch immer unschlüssig in der Küche stehe und überlege, ob es nun Zeit für Frühstück wäre, oder doch eher schon für ein frühes Mittagessen.

Ich seufze. Als freischaffende Autorin bin ich keinem festen Rhythmus unterworfen. Ich wähle meine Arbeitszeit frei. Ich wähle auch mein Thema frei. Über was will ich heute schreiben? Ich lasse meinen Blick schweifen. Leerer Kühlschrank, vlt etwas über Foodwaste? Bademantel, Pantoffeln und zerzauste Frisur, hmmm könnte ne schöne Geschichte über Lifestyle und Schönheitsideale werden oder Vielleicht etwas über Natur und Pflanzen?

Ich entschliesse mich, nach meinem kargen Frühstück, kalter Tee und drei alte Kekse aus der Schachtel, erst einmal zu Duschen. Dabei denke ich an eine Lovestory unter tropischen Palmen. Doch als ich schliesslich mein Laptop öffne, landet eine Biene auf der klebrigen Tastatur. Erschöpft sucht sie zwischen den Buchstaben nach Nahrung. Ich befürchte, das das was sie dort alles finden wird, nicht das Richtige für eine Biene ist.

So kann ich nicht schreiben. Ich puste auf die Tastatur. Lege meinen Kopf neben das Tastenfeld und blase nun einen kräftigen, mittleren Sturm über die Biene. Doch sie bewegt sich nicht. Nein, sie scheint es sich nun erst recht gemütlich zu machen. Zwischen G und H lässt sie sich nieder, saugt an einem Krümmel, vermutlich ein Rest eines Paprikachips und summt zufrieden.

Das kann doch jetzt nicht wahr sein. Ich nehme den Laptop und gehe auf meinen Balkon. Wenn erst Sonnenstrahlen auf das Tier treffen wird sie sicher davon fliegen. Aufgewärmt und angelockt vom Blütenduft der anderen Balkone.

Nein, sie fliegt nicht davon. Sie krabbelt nun über U, I und K zum L. Dort hatte ich vor kurzem einen kleinen Unfall mit einem alkoholfreiem Süssgetränk. Das scheint die Biene nun auch zu merken. Sie verharrt. Tastet mit ihrer Zunge, haben Bienen Zungen?, tastet mit ihrer Zunge die kleinen Ritzen neben den Buchstaben ab.

Ungeduldig klopfe ich mit meinem Finger auf meinen Schreibtisch. Wie werde ich nun diese Biene wieder los? Ich muss arbeiten.

«Ich muss arbeiten», schreie ich der Biene entgegen. «Du bist vielleicht schon fertig. Aber ich nicht. Ich arbeite erst, wenn die Sonne hoch am Himmel steht und die meisten Blumen in der Mittagshitze die Köpfe hängen lassen. Also bitte, würdest du dich wieder auf den Heimweg machen?»

Ich flehe das Tier an, welches anscheinend schläft. Mittagspause. Tief durchatmen, alles halb so schlimm.

Ich nehme einen Notizzettel und schiebe ihn vorsichtig unter die Biene. Sie wacht nicht auf. Schläft tief und fest. Na so einen Schlaf möchte ich auch mal haben. Vielleicht war das Süssgetränk doch nicht alkoholfrei, überlege ich. Und da durchfährt mich ein Blitz. Natürlich nicht. Neben Cola hatte ich auch Rotwein getrunken, das natürlich erst viel später an diesem Abend, aber auch der Rotwein war nicht spurlos an meinem Laptop vorüber gegangen.

Ich nehme mein Handy zur Hand. «Wieviel Alkohol verträgt eine Biene?» Ich bin geschockt, denn ich erfahre, dass die Wächterbiene im Bienenstock nur nüchterne Bienen hinein lässt. Randalieren wohl sonst. Ich muss bei der Vorstellung von einer torkelnden Bienen Maja kichern.

Doch leider vergrössert das mein Problem. Ich kann doch jetzt keine angetrunkene Biene hinaus werfen. Wer weiss, was aus der wird? Vielleicht landet sie auf der Strasse. Nein, das bringe ich nicht übers Herz.

Nun muss gehandelt werden. Während Willi, wie ich inzwischen die Biene getauft habe, ihren Rausch ausschläft, baue ich aus einem Schuhkarton, einer Pappröhre und etwas Heu, okay es ist kein Heu, es war mal Petersilie, eine Ausnüchterungszelle für Bienen.

In eine schattige Ecke meines kleinen Balkons stelle ich den Karton auf. Willi lege ich mit dem Notizzettel in das Petersilienbett und Deckel drauf. Ein Kronkorken mit Zuckerwasser steht zum Katerfrühstück neben dem Petersilienbett. Ein kleines Einflug- und Ausflugloch habe ich mit einem Bleistift auch hinein gestochen.

«So, nun schlaf schön Willi», sage ich und gehe an die Arbeit. Ich schreibe. Zuerst schreibe ich eine Kindergeschichte über eine Biene, die sich verflogen hat und auf der Suche nach ihrem Bienenstock einen schönen Balkon mit herrlichen Blumen gefunden hat.

Dann hatte mich die Recherche nach betrunkenen Bienen inspiriert noch mehr über die Lebensweise dieser Tiere in Erfahrung zu bringen. Aus den Informationen bastele ich einen interessanten Insektenkrimi, «Nachts allein im Bienenstock» und weil mich das Schicksal von Honigbienen und ihren wilden Verwandten so berührt, schreibe ich schliesslich noch einen Erfahrungsbericht zum Thema «Leben mit unseren geflügelten Freunden».

Es ist dunkel. Auf dem Balkon friedliche Ruhe unter einem herrlichen Sternenhimmel. Ob Willi noch da ist? Ich hoffe, er hat sich wieder erholt. Mit bangem Herzen gehe ich ins Bett.

Der nächste Morgen beginnt wie immer bereits Mittag. Ich schlüpfe in meine Pantoffeln und gehe mit meiner Tasse Tee zum Balkonfenster. Als die Rollläden offen waren, blinzele ich hinaus auf den kleinen Tisch. Wie es wohl Willi geht?

Ich drücke meine Haare zurück in eine annehmbare Frisur, zumindest für jemanden, der gerade erst aufgestanden ist. Mit der Tür schwingt ein Schwall frischer Frühlingsluft in mein Wohnzimmer. Vorsichtig öffne ich den Karton. Nichts zu sehen, keine Biene. Etwas enttäuscht schliesse ich den Karton wieder. Aber keine Biene, heisst auch keine tote Biene und das ist gut. Ich freue mich für Willi und gehe unter die Dusche.

Der Tag ist so schön, dass ich mich voller Tatendrang an meinen Laptop setze. Dann bemerke ich eine Bewegung auf dem Balkon. Ich sehe genauer hin und da sehe ich, wie emsig kleine Bienen in meinen Bienenstock fliegen. Rein. Raus. Rein. Raus.

«Willi», rufe ich begeistert und schlage meine Hände vor den Mund.

Nach einer Stunden verlasse ich den Baumarkt mit zwei Wagen voll bienefreundlichen Blumen und Kräutern. Da wird Willi aber staunen.