Zwei alte Damen räumen auf

Mein erster Kurzroman ist nun als ebook erschienen. In dieser Geschichte schlagen Bertha und Inge einen ungewöhnlichen Weg ein. Die beiden 80-jährige Freundinnen wollen sich nicht mit der Vereinsamung im Alter abfinden. Als Leseprobe gibt es hier das erste Kapitel.

Zwei alte Damen räumen auf

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Der Fußboden ächzte unter den vorsichtigen Schritten, die sich ihren Weg zwischen den alten Möbel hindurch bahnten. Aus den Ecken sickerte eine erdrückende Stille. Das Ticken einer Uhr machte die Einsamkeit unangenehm real. Nichts regte sich. Selbst die trockene Luft stand träge wie eine unsichtbare Wand in der Wohnung. Als gehörte sie schon immer zum Wohnensemble dazu, zu dem durchgesessenen roten Sofa unterm Fenster und dem abgewetzten Sessel daneben. Nicht einmal der kleine zerkratzte Tisch mit den ausgeblichenen Wasserflecken, konnte dieser Stille einen Hauch Farbe geben. Die Wohnung wirkte leer und verlassen. Auch wenn auf der Anrichte ein altes Radio stand, aus dem einst melodische Klänge oder vielleicht auch nur nervtötende Debatten die Räume mit Leben füllten.

Im Buffet stand ein noch eingepacktes Service, mit altmodischem Blümchenmuster. Die dazu passenden Häkeldeckchen in jeder Größe, waren eines scheußlicher, als das andere. Sie lagen hübsch aufgestapelt direkt daneben. Ordentlich, aber auch langweilig, dachte Bertha. Das war nichts für sie. Häkeldeckchen, Blümchentassen und vielleicht noch Schlager aus dem Radio. Sie konnte sich das Leben, das ihre Nachbarin hier geführt hatte, sehr gut vorstellen. Die alte Frau schüttelte den Kopf.

Inge dagegen hatte sich schlürfenden Schrittes durch die Wohnung ins Schlafzimmer getastet. Auch sie sah das sich täglich wiederholende Leben der Verstorbenen vor sich. Trist und grau. Nicht schwarz-weiß. Das wäre noch zu abwechslungsreich. Es war einfach alles grau.

Aus dem leicht geöffneten Kleiderschrank im Schlafzimmer sickerte ein muffiger Geruch. Er legte sich wie dunstiger Morgennebel über den orientalischen Fransenteppich. Zwischen den alten Kleidern hingen die verstaubten Geister der Vergangenheit. Die Sonntagsdame, die Festtagsoma, die resolute Endfünfzigerin, die Silberbraut, die trauernde Witwe und schließlich die einsame Alte. Fast andächtig streiften Inges greise Hände über die aufgereihten Stoffe, als könnten sie so etwas zurückholen, was längst schon vergessen war.

Auf der Kommode am Fußende des vereinsamten Bettes standen die stummen Zeugen eines gelebten Lebens. Kinder bei der Hochzeit, Enkel mit Schultüte, Familien im Urlaub. Daneben quollen aus einer Porzellanschatulle Perlenketten und billiger Modeschmuck. Ein leeres Brillenetui wartete vergebens auf die verschwundene Lesebrille. Es war erdrückend.

Erschöpft ließ sich Bertha zu Inge aufs Bett fallen. Das hatten sie nicht erwartet. Diese Leere, die so hart zuschlug, wie ein Boxer im Endkampf. Inge schaute zu Bertha, die fast vollständig im dicken Federbett verschwunden war.

„Das ist also alles?“, fragte sie ihre Freundin.

Die beiden alten Damen waren heimlich in die Wohnung der erst kürzlich verstorbenen Nachbarin eingedrungen. Sie kannten Frau Heinrich nicht einmal. Aber sie wollten wissen, was bleibt. Hier konnten sie es hautnah erleben. Es war der blanke Horror gewesen. Die Freundinnen wussten wie es war, allein zu sein. Einsamkeit war für sie kein Fremdwort.

„Wie ist sie gestorben? Ich meine, lag sie hier irgendwo einfach herum? Bis irgendwer sie vermisste?“ Inge lief es eiskalt den Rücken hinunter. Sie schaute sich angewidert im Schlafzimmer um, als könnte sie eine Spur von Frau Heinrich entdecken.

„Nein. Dann wären doch irgendwelche Flecken zu sehen. Und es wäre ein riesiger Menschenauflauf hier gewesen, mit Polizei und Leichenwagen und Notarzt. Ich habe aber nichts mitbekommen. Ich glaube, sie ist ins Heim gekommen, vor ein paar Wochen erst. Abgeschoben. Nur weil sie etwas schrullig geworden ist.“, entrüstete sich Bertha, die mit ausladenden Bewegungen versuchte sich aus dem Federbettwirrwarr zu befreien.

„Nun hilf mir doch.“, fuhr sie nach Luft schnappend ihre Freundin an.

„Wie soll ich dir denn helfen können?“, fragte Inge und sprang ihrerseits leicht federnd auf dem Bett auf und ab, um mit Schwung auf die Beine zu kommen.

„So geht das.“

„Du bist genial.“ Bertha holte Schwung und hüpfte auf dem Bett, wie auf einem Trampolin, dabei stülpte sich das Federbett so hoch um die kleine Frau, dass man nur noch die dünnen Beine in die Luft ragen sah.

Nach einigen Anläufen hatte es auch Bertha geschafft. Sie knetete das kurze Haar auf ihrem Kopf zurecht und zog an ihrem beige-grünen Strickpullover.

„Und was ist mit den Kindern? Sie hatte doch Kinder und Enkel.“ Bertha ging zu der Fotogalerie auf der Kommode. Sie nahm einige Bilder in die Hand und schaute sich die Gesichter an. Ihre grauen Augen glänzten feucht.

„Das möchte ich nicht. Inge, wir müssen was tun. Ich meine, sieh dich doch um. Das ist alles was bleibt. Müll. Wir zerfallen zu Staub, der durch eine leblose Wohnung wirbelt.“ Bertha drehte sich zu Inge um. Mit einer ausladenden Handbewegung schloss sie das ganze Leben von Frau Heinrich mit ein.

„Ach was du wieder redest. Die Erinnerungen, Erlebnisse mit den Enkeln, Zoobesuche, gemeinsam gesungene Lieder, Geburtstagsgeschenke, das bleibt doch alles. Sie werden sich schon noch erinnern.“, sagte Inges warme Stimme. Ein herzliches Lächeln umspielte die schmalen blassrosa Lippen. Doch nun sah auch Inge zweifelnd auf die Fotos.

Bertha wurde jetzt wütend. Die kleine drahtige Frau wirbelte durch die Räume und durchwühlte Schubladen und Schränke. Plötzlich blieb sie stehen. Auf ihre grauen Haare legte sich nun Jahre alter Staub. Dann drehte sie sich zu Inge um.

„Da hast du deine Erinnerungen.“ Sie warf ein Bündel Briefe aufs Bett. Aus den säuberlich aufgerissenen Umschlägen rutschten Geburtstagskarten. Immer das gleiche Motiv, groß-arrangierte Blumengestecke auf einfarbigem Hintergrund. Der vorn aufgedruckte Gruß war im Inneren mit dem jeweiligen Namen ergänzt.

„Keine einzige persönliche Zeile.“, stellte Inge traurig fest.

„Genau. Und zu den Geburtstagen sind sie auch nicht gekommen. Sonst hätten sie es wohl kaum nötig gehabt, eine Karte zu schicken.“ Bertha war sonst nicht so boshaft, aber in diesem Moment wünschte sie die ganze Welt zum Teufel. Es kränkte sie persönlich, da es ihr und auch Inge nicht viel besser ging. Auch wenn ab und zu Sybille, ihre Tochter anrief. Doch sie redete nur übers Wetter, Smalltalk. Aber wirklich Zeit hatte auch Sybille nicht.

„Wenn erst das Sperrgut fortgeschafft und die Wohnung leer ist, sind wir doch schon fast vergessen.“

„Nein, Bertha! Das meinst du nicht ernst.“

„Das werden wir uns nicht gefallen lassen. So nicht. Nicht mit uns!“ Bertha blühte plötzlich auf. Ihre alten Lebensgeister waren geweckt.

„Unser Leben ist doch kein Sperrgut! Aber was willst du dagegen tun?“, fragte Inge zögerlich. „Wir sind beide keine sechzig mehr.“ Sie steckte sich einige Strähnen silbrigen Haars in den Knoten am Hinterkopf und drückte ihre Frisur mit den Händen fest.

„Was hättest du denn gemacht, wenn wir jetzt sechzig wären?“ Berthas blasse Augen blitzen hinter ihrer Brille spitzbübisch auf.

Wie dreiundachtzig wirkte sie nun nicht. Nicht in diesem Moment. Sie würde nicht zulassen, dass es ihr und ihrer Freundin so ging, wie vielen anderen alten Menschen, die durch den Tod endlich erlöst wurden von ihrem jämmerlichen Dasein, als Randfigur.

„Das ist eine gute Frage. Da muss ich erst einmal drüber nachdenken.“

„Tu das. Ich koche uns einen Kaffee und dann überlegen wir uns gemeinsam was wir gegen den Sperrmüllstempel tun können.“

Wie selbstverständlich ging Bertha auf ihren flachen Pantoletten in die Küche. Die kleine zierliche Frau kramte in den Küchenschränken und fand auch gleich Kaffeepulver und Sammeltassen. Während das Wasser auf dem Herd zischend zu kochen begann, wischte Bertha resolut die Häkeltischdecke vom Küchentisch.

„Guck mal, in der Anrichte habe ich noch Gebäck gefunden, dänische Butterkekse, die liebe ich.“ Inge winkte mit der Packung. Auf ihrem runzligen Gesicht lag ein warmes Lächeln. „Und wie das duftet. Es geht eben nichts über frisch aufgebrühten Kaffee.“

Als die Frauen sich gegenübersaßen, blickten sie stumm zum Küchenfenster hinaus. Jede in ihrer eigenen Welt gefangen. Unbewusst nippten sie an den Sammeltassen und schlürften das heiße Getränk. Vergessen war, dass es nicht ihre Wohnung, nicht ihr Fenster und nicht ihr Küchentisch war. Aber irgendwie war es auch ihr Leben, hier bei Frau Heinrich.

„Wo sind eigentlich die Kinder? Müssten sie nicht die Wohnung räumen?“ Inge stellte ihre Tasse zurück auf die Untertasse. Das leise Klirren ließ Bertha aus ihren Gedanken aufschrecken. Die Blicke der alten Frauen wanderten über die Möbel. Die kleine Wohnung war liebevoll eingerichtet, etwas kitschig, aber ordentlich und sauber.

„Weißt du Bertha, wenn ich mir vorstelle, wie nun die Kinder und Enkel hier einfallen und alles nach Brauchbarem durchwühlen, alles was man zu Geld machen kann, du verstehst?“. Sie hielt ihrer Freundin drei Finger entgegen und rieb sie gegeneinander. „Und dann alles andere lieblos in Mülltüten und Kartons werfen.“ beendete Bertha den Gedanken.

„Da dreht sich bei mir der Magen um.“ Inge wurde traurig. Sie wollte sich so ein Ende nicht vorstellen.

„Und deshalb werden wir die Wohnung räumen.“, sagte Bertha.

„Was wir? Warum wir? Und wie sollen wir das …..“

„Lass mal überlegen. Ich finde die Wohnung ist gar nicht mal schlecht eingerichtet. Nicht mein Geschmack, aber alles ordentlich. Und vor allem noch brauchbar. Ich habe eine Idee.“