Machen Drachen Winterschlaf

Machen Drachen Winterschlaf

Es schneit. Schöne dicke Flocken schweben vom grauen Januarhimmel. Es ist acht Uhr morgens und ich stehe mit meiner heißen Tasse Kaffee am Fenster und genieße die Winterlandschaft. Aber nur wenige Minuten, denn schon im nächsten Moment dämmert mir, dass bei all dem schönen Schneefall die Einfahrt völlig zugeschneit ist und ich nun die Einfahrt räumen muss. Es ist kalt und ich bin noch gar nicht richtig wach. Aber schon steht mein Jüngster, noch im Schlafanzug, dafür aber in seinen Schuhen und mit Mütze an der Tür. „Tschau Mama.“ Ich kann ihn gerade noch aufhalten. „Du musst dich erst richtig anziehen!“ Er kontert „Hab ich schon. Ich muss jetzt arbeiten. Schneeschieben.“

Geduldig ziehe ich das protestierende Kind ins warme Wohnzimmer. Ziehe ihm Schuhe, Mütze und Schlafanzug aus. „Du musst noch frühstücken. Sonst hast du keine Kraft zum Schneeschieben.“ Schließlich lässt er sich doch richtig anziehen, isst noch schnell eine Schüssel Müsli und steht wieder an der Tür. Nun sogar mit Jacke. Die kriegt er zwar nicht zu. Aber das ist egal. Hauptsache ist er hat sie an. Und Tschüss! Ich ziehe mich selbst schnell an und eile ihm nach. Die Jacke kann ich gerade noch zumachen, bevor er knietief im Schnee versinkt.

Ich hole den Schneeschieber aus der Garage und stoße mir dabei gleich mal den Kopf wach. Von hinten kommt ein Schneeballbeschuss. Und ich frag mich, was ich vor einer halben Stunde daran noch schön fand. Fröstelnd mach ich mich ans schieben. Links, rechts, links, rechts, irgendwann türmt sich der Schnee an den Seiten meterhoch und ich überlege wohin mit dem Rest. Da hüpft mein Sohn mit seinem Kinderspaten gerade in mein aufgetürmtes Schneegebirge und verteilt es schön sorgfältig in der Einfahrt.

Mein Protest geht im Lärm der Schneefräse des Nachbarn unter. Der geht lässig drei mal seine Einfahrt ab und die Fräse schleudert den Schnee auf die Wiese. Und ich? Ich rackere mich wenigstens eine halbe Stunde ab und nun ist alles wieder verteilt und festgetreten. Mein Sohn hat derweilen viel Spaß am um platzieren des beiseite geräumten Schnees. Doch er hört die Schneefräse und sieht auch den Schwall Schnee, der durch die Luft geschossen wird. So langsam wird er unruhig. Läuft aufgeregt zu mir und umarmt ganz fest meine Beine. „Was ist denn los, mein Schatz?“ frage ich den wimmernden Zwerg. „ Ein Drache! Siehst du den Drache nicht? Er ist doch ganz laut!“ Ich knie mich in den Schnee. Und erkläre ihm, dass es doch keine Drachen gibt. Doch mein Sohn weiß das besser. Immerhin wohnen wir in den Bergen, wo es viele Höhlen gibt. Dort wohnen die Drachen.

Und manchmal sieht man auch die Rauchwolken zwischen den Bäumen. Er ist sich ganz sicher. Das ist ein Drache. Den Nachbar und die Fräse sieht er hinter dem Zaun nicht. Ich beobachte nachdenklich mein Kind. „Ich glaube du hast Recht. Das könnte wirklich ein Drache sein. Aber warum wirbelt er denn so viel Schnee auf?“

Wir bauen uns zunächst im eingestürzten Einfahrtsgebirge eine kleine Höhle, damit der Drachen uns nicht sieht. Mein kleiner Schatz hat viel Mühe den festen Schnee beiseite zu schaufeln, aber es macht ihm viel Spaß. Er erzählt mir, dass der Drache den Schnee nicht aufwirbelt sondern spuckt. Im Winter spucken Drachen immer Schnee, statt Feuer. Die Luft ist so kalt, da kann der Drache kein Feuer spucken.

Ich stelle den Schlitten in unsere Höhle und wir setzten uns darauf. Nun sind wir sicher vor dem Drachen. „Aber wie kommt der Drachen denn in unser Dorf?“ „Ihm war es im Wald zu kalt. Und er ist schrecklich wütend. Darum spuckt er den Schnee und macht solchen Lärm.“ Ich frage meinen Sohn, was den Drachen denn so wütend gemacht hat. Das ist doch klar, meint er. Drachen machen nämlich Winterschlaf. Sie brauchen die warme Sonne um richtig Feuer zu spucken. Sonst hat ja keiner Angst vor ihnen. Deshalb ist der Drache auch wütend. Er ist aufgewacht, weil die Düsenflugzeuge so nah an seiner Höhle vorbei geflogen sind.

Und weil er bei dem Lärm nicht mehr einschlafen konnte, kam er ins Dorf. Aber keiner wollte ihn ins Haus lassen, wo es warm ist. Da ist er immer wütender geworden. Er wollte Feuer spucken und dann ist das mit dem Schnee passiert. Er machte seine Schnauze ganz weit auf und ein grollen kam aus seinem Bauch. Aber kein Feuer.

Statt dessen Schnee. Wie aus einer Kanone. Da wollten die Kinder ihn als Schneekanone auf den Schulhof stellen. Aber das ist nichts für den Drachen. Und kalt ist ihm auch noch. Mein Sohn guckt mich traurig an. „Mama, können wir dem Drachen nicht helfen? Er friert doch. Und keiner hat ihn lieb.“ Ich überlege. Dann fällt mir was ein.

Es ist dunkel geworden und ich bringe meinen Sohn ins Bett. „Mama, schläft der Drache jetzt auch?“ Ich versichere ihm, dass der Drache jetzt ganz fest schläft und er es schön warm hat. „Hör mal du kannst ihn sogar leise schnarchen hören.“ sage ich und wir lauschen in das ruhige Haus. Und tatsächlich, ein leises Rauschen ist zu hören. Mein Sohn schaut mich glücklich an. „Aber im Frühling muss er wieder in den Wald?“ fragt er mich. „Ja, im Frühling geht er wieder in seine Höhle im Wald. Und bis dahin schläft er im Heizungskeller. Der ist feuerfest, falls der Drache mal husten muss.“ Beruhigt kuschelt sich der Kleine unter seine Decke. „Gute Nacht, mein lieber Drache!“