Ein Pinguin unterm Weihnachtsbaum
Auch wenn ich mich auf die Weihnachtszeit freue, so wird es doch jedes Jahr eine stressige Zeit. Die Planung beginnt meist schon im Oktober. Nur ist es da noch viel zu herbstlich, als dass man schon mit backen, Geschenke kaufen oder Adventsbasteleien anfängt. Es gibt ja noch nicht mal Weihnachtskarten, die man schon vorbereiten könnte. Nur die Schokoweihnachtsmänner schwitzen bereits in den Supermarktregalen in ihren dicken, roten Mänteln, wenn die Sonne noch einmal einen Hauch von Spätsommer auflegt und das Herbstlaub golden strahlen lässt.
Weihnachtlich ist mir im Oktober noch nicht. Erst im November mit den ersten Bodenfrösten keimt eine kleine Weihnachtsblüte zarte Knospen in mir. Und als dann auch die Tage frostiger werden, setze ich mich mit den Kindern an den Küchentisch und mache meine Weihnachtsliste. Die Kinder schreiben Wunschzettel und ich notiere die Weihnachtskartenempfänger. Aber es dürfen nicht einfach nur gekaufte Karten sein. Zu Weihnachten wird gebastelt. Das gilt nicht nur für die Kinder. Auch ich werde basteln, natürlich! Aber später. Dafür ist noch genug Zeit im Advent. Dachte ich zumindest.
Und da ist er auf einmal Advent, der Erste - Adventssternebasteln, der Zweite – schnell noch Plätzchen backen, der Dritte – Weihnachtsmarktbesuch. Und dann nicht einmal mehr zwei Wochen bleiben, um Geschenke zu kaufen, 15 Weihnachtskartenbasteln und Strohsterne für die Weihnachtspäckchen und nochmal Plätzchen backen, auch für die Weihnachtspäckchen. Und alles muss ziemlich noch heute sein, denn die Post wird mit dem näher rückenden Fest immer feiertäglicher und geruhsamer.
Mit den Wunschzetteln der Kinder, die ich vor dem Abschicken an den Weihnachtsmann noch schnell kopiert habe, mache ich mich auf die Jagd nach den Geschenken. Bei einigen Dingen komme ich ins Zweifeln, ob das wirklich ein innerer Wunsch ist oder nur eine durch hübsche Katalogbilder hervorgerufene Eingebung. Ich kenne meine Kinder nun schon einige Jahre und kenne ihre Wünsche. Nicht umsonst habe ich das letzte Jahr damit verbracht diese heranwachsenden Wesen zu studieren. Genaues Beobachten und blitzschnelle Reaktion mit dem Stift hat es gekostet, doch ich glaube die Arbeit hat sich gelohnt und ich kenne die wahren Wünsche meiner Kinder. Nur gut, dass diese irgendwo zwischen Barbies Traumhaus und Lego Raumstation und 20 anderen Katalogangeboten auch auf den Wunschzetteln zu finden sind. Anscheinend kennen meine Kinder ihre Wünsche wohl doch, auch wenn diese nicht im Katalog abgebildet waren.
Ein gemütlicher Weihnachtsbummel wird das zwar nicht, aber am Ende hab ich doch allerhand Tüten in meinen Händen verteilt. Als alles im Kofferraum verstaut ist, ist dieser bis obenhin voll. Oben aus den Tüten gucken mir frech die Geschenkpapierrollen entgegen, als wollten sie sagen, „Du weißt, welchem Kampf wir zwei uns noch stellen müssen!“ Ich lasse unbeeindruckt die Kofferraumklappe fallen und sinke mit einem tiefen Seufzer auf den Fahrersitz. Befreit fahre ich zum Weihnachtsmarkt, dort treffe ich, wie verabredet meine Familie am Pferdchenkarussell. Mein Mann kann mir meine Erschöpfung ansehen und schiebt mir einen heißen Punsch in die Hände. Dann bummeln wir noch ein bisschen an einander gekuschelt über den Markt und sehen uns verträumt die Adventsstände an. Endlich wird auch mir weihnachtlich zumute. Und ich freue mich auf die glänzenden Kinderaugen am Heiligabend.
An einem kleinen Stand vom Zoo bleiben wir stehen, eigentlich nur um uns nach den Kindern um zu sehen. Doch da tritt ein kleiner alter Mann hinter dem Stand hervor und spricht mich an. Mein Mann ruft nach den Kindern und auch ich suche nervös zwischen den Marktbesuchern. Doch der Mann hält mich energisch am Arm fest. Freundlich sieht er mich an und fragt, ob ich schon alle Geschenke beisammen habe. Ich nicke ihm zu und versuch mich von ihm zu lösen. Er redet von den Tieren, die im Winter nur wenig Besuch bekommen und sehr einsam sind. Im weihnachtlichen Musikchaos des Marktes nehme ich nur nebenbei wahr, wie der Mann mir eine Tierpatenschaft versucht schmackhaft zu machen, als Geschenk. Es wäre auch nur für ein Jahr. Ich will weiter meinen Kindern hinterher. Doch der Mann hält mich irgendwie zurück. Meinen Arm hat er zwar los gelassen, aber nun sind es seine Augen, die mich zurück halten. Er sieht mich voller Wärme und Zuversicht an. Mir tun die Tiere ja auch Leid, sage ich ihm, aber im Moment habe ich andere Sorgen. Der Mann lächelt wissend, und bittet mich um eine Unterschrift für eine Patenschaft, das würde auch meine Sorgen vertreiben. Verzweifelt sehe ich mir das Formular kurz an. Die Patenschaft ist nicht teuer und wie er gesagt hat nur für ein Jahr. Weihnachten ist das Fest des Schenkens und der Großherzigkeit. Ich unterschreibe also die Patenschaft und sofort spüre ich Wärme aufkommen. Das ist aber nur der Wärmepilz des Glühweinstandes neben mir. Der mit der heraufziehenden Dunkelheit und Kälte angemacht wurde.
Mit der Patenschaft in der Hand renne ich meinem Mann hinterher und finde am Pferdchenkarussell meine Familie wieder.
Zu Hause dürfen die Kinder sich in der Badewanne aufwärmen. Und während im Bad eine wilde Wasserschlacht tobt, kämpfe ich mich mit der Tütenflut ins Schlafzimmer und stopfe erst einmal alle Geschenke in den Schrank. Einpacken kann ich sie dann später noch.
Später, das ist das letzte Adventswochenende. Die Kinder backen mit Oma Plätzchen und ich hab Zeit und Ruhe zum einpacken. Und da erst bemerke ich die Katastrophe, es fehlt ein Geschenk. Ich habe alles besorgt, Spiele und Bausteine, Musik CD's und Bücher aber ich habe den sehnlichsten Wunsch meines Jüngsten vergessen. Ein Pinguin. Ich wollte mich später darum kümmern, da ich noch nicht wusste, wie ich ihm diesen Wunsch erfüllen konnte. Denn Pinguinfiguren und Kuschelpinguine hat er schon. Auch an Pinguinbüchern und Pinguinpuzzel fehlt es nicht. Und nun hab ich ihn ganz vergessen. Verzweifelt stopfe ich alle Geschenke in die alte Truhe auf dem Dachboden und falle dann rücklinks aufs Bett. Morgen ist der 4. Advent und wie es das Schicksal so will, auch Heiligabend. Mein Mann kommt rein und sieht mich auf dem Bett liegen. Er missdeutet die Pose und kuschelt sich zu mir. Als er mir die Wangen küsst, schmeckt er die Tränen. Verwirrt sieht er mich an und da platz die ganze Tränenflut aus mir heraus. Wie konnte ich den sehnlichsten Wunsch unseres Kindes vergessen? Tröstend legt er die Arme um mich und meint die Kinder kommen schon nicht zu kurz. Wir haben doch viele Geschenke, da wird eben geteilt. Was bin ich nur für eine schlechte Mutter? Denke ich. Mein Mann küsst meine Tränen weg und zieht einen Zettel, auf dem ich gelegen habe unter mir hervor. Irritiert sieht er mich an. Was ist das, fragt er. Ich nehme den Zettel und erkenne die Patenschaftsurkunde. Dann erzähle ich ihm von der Begegnung auf dem Weihnachtsmarkt und dass ich mir habe eine Tierpatenschaft aufschwatzen lassen. Mein Mann nimmt die Patenschaft und liest. Dann strahlt er mich an. Das ist es, sagt er und gibt mir das Papier zurück. Erst jetzt lese ich für welches Tier wir eine Patenschaft übernommen haben. Es ist ein Pinguin. Doch wird das unserem 4-jährigen reichen? Versteht er das Geschenk? Wir können ihm ja dann noch einen Besuch im Zoo schenken, nach Weihnachten. Ich lasse mich breitschlagen und binde ein Stück rotes Schleifenband um die Rolle mit der Patenschaft.
ZumHeiligabend haben wir den Baum schön geschmückt. Bunte Kugeln und Adventssterne hängen zwischen den Zweigen, kleine Lichter glühen im Tannengrün und festtägliche Musik tönt aus dem Radio. Alle sitzen in der Küche um den Esstisch und plaudern. Die Geschenke liegen verteilt unterm Weihnachtsbaum im Wohnzimmer. Voller Erwartung und Vorfreude toben die Kinder um den Esstisch. Dann poltert es im Wohnzimmer. Ein prüfender Blick in die Runde verrät, dass alle in der Küche sind. Aber was war das für ein Geräusch? Eigentlich wollten wir die Bescherung noch etwas herauszögern, doch niemand ist zu halten. Die Kinder stehen zu erst im Wohnzimmer. Kurzes Staunen über die vielen hübsch verpackten Geschenke und dann wird sich mit wildem Geheul zwischen die Päckchen gestürzt. Bunte Papierfetzen fliegen durch die Luft und Geschenkbänder bleiben im Weihnachtsbaum hängen. Bis dann etwas raschelt. Unterm Baum raschelt etwas. Die Äste des Baumes hängen tief herab und verdecken die Sicht hinter den Baum. Es ist völlig still geworden und alle Augen sind starr auf den Weihnachtsbaum gerichtet. Da tapst plötzlich ein kleiner schwarz weißer Pinguin hervor. Er sieht uns erstaunt an und krächzt. Verwirrt sehe ich zu meinem Mann. Unser Jüngster stürzt sich sofort auf das Tier und drück es ganz fest an seine Brust. Das scheint dem Pinguin zu gefallen. Er kuschelt sich mit seinem Kopf an unser Kind. Immer noch erstaunt starren alle den Pinguin an. Und was nun, frage ich meinen Mann. Er lächelt mich an und sagt, es ist doch nur für ein Jahr.
Nun lachen alle und ringen sich um den Pinguin. Dann werden die restlichen Geschenke ausgepackt und jeder beschäftigt sich in seliger Ruhe mit dem Seinen.
Ich sitze an meinen Mann gekuschelt auf dem Sofa und beobachte stolz meine Kinder. Unterm Weihnachtsbaum liegt neben einem Eimer mit Fisch und einem Nest aus Steinen die Patenschaft.
Warum nicht auch ein Pinguin?