Ein nächtlicher Auftrag

Ein nächtlicher Auftrag

«Krähen, überall Krähen. Der ganze Himmel war schwarz. Auf den Bäumen sassen sie und starrten mich an. Schwarze Biester mit glühenden Augen.»

«Glühende Augen? Krähen? Sag mal hast du etwa getrunken?»

«Nein, Chef. Ich trinke nie bei einem Job. Das weisst du doch. Aber die Biester. Ich sag dir die kamen direkt aus der Unterwelt.»

«Könnte es sein, dass der Job zu viel für dich ist?»

«Nein. Boss. Ganz sicher nicht. Du weisst, ich bin kein Weichei. Aber diese Krähen.»

Willis Blicke verloren sich in der Ferne. Wie ihm, war es schon vielen ergangen. Sie kamen und gingen wieder. Für diesen Job brauchte man Nerven aus Stahl.

«Nun vergiss doch mal die Krähen. Hast du deinen Auftrag erledigt?»

«Jawohl, Chef. Alles erledigt. Bis aufs kleinste Haar sozusagen. Alles picobello. Kennst mich ja. Auf mich ist verlass. Du gibst mir einen Auftrag und zack erledigt.»

Willi schlug die knotigen Hände gegeneinander und zerrieb die Luft dazwischen.

Wo er anpackte, gab es keine Gnade.

Willi war einer der Besten. Er war sehr zuverlässig in seinem Job. Nur das mit den Krähen machte dem Boss etwas Sorgen. Tatsächlich könnten Krähen ihnen gefährlich werden. Ein, zwei Mal hatte er es miterlebt. Es war nicht schön, das mit anzuhören. Das Krächzen und Flattern. Der eisige Flügelschlag und danach die plötzliche Stille. Aber wahrscheinlich hatte sich Willi nur von solchen Geschichten ängstigen lassen, das er nun selbst schon die Schwarzen sah.

Der Boss lauschte in die Nacht. Kein Krächzen, kein Flattern, kein eisiger Wind. Es war eine ruhige Nacht, die langsam zu Ende ging.

Bald würde die Sonne aufgehen. Sie mussten also dringend verschwinden, bevor sie noch entdeckt werden würden.

«Du siehst doch nicht etwa immer noch Krähen?»

«Nein, Chef. Keine Krähen mehr. Überhaupt keine Vögel. Nichts am Himmel ausser Regenwolken.»

«Regenwolken, das ist ein gutes Zeichen. Vielleicht können wir eine Abkürzung nehmen.»

Willi nickte und schob sanft seinen Arm unter den vom Chef. Er half ihm aufzustehen.

«Wo geht die Sonne auf?»

Willi sah sich nervös um.

«Ähm, links.»

«Okay, dann nach rechts.»

Im fahlen Licht des erwachenden Morgens, glänzte plötzlich die Spiegelung eines matten Regenbogens auf der kleinen, runden Sonnenbrille, die der Boss trug.

«Ist es so weit?», fragte er, als er die Sonne im Rücken spürte.

«Ja, Chef.»

«Und das Zimmer ist in Ordnung?»

«Ja, Chef. Alles aufgeräumt. Ich hatte sogar noch Zeit die Legosteine nach Farben zu sortieren.»

«Willi, das war nicht dein Auftrag. Wichtel räumen auf. Sie sortieren nicht die Sachen nach Farben. Du musst noch viel lernen.»

«Ja, Chef.»

«Und die Krähen?»

«Keine Krähen Chef. Bestimmt keine Krähen mehr.»

«Und die Kinderzimmer?»

«Schlimm, wie immer. Aber machbar. Alles ordentlich.»

«Na dann können wir jetzt den Regenbogen nach Hause nehmen.»

Willi betrat erleichtert, neben dem Boss die farbigen Stufen. Sie stiegen höher und höher und verschwanden langsam mit dem immer blasser werdenden Regenbogen.