Die Schriftstellerin
Mir gefiel die Stille nicht. Schon am Morgen war es ungewöhnlich still. Ich öffnete die Fenster um die frische Morgenluft ins Haus zu lassen. Für gewöhnlich wogte mit der aromatischen Waldluft Vogelgezwitscher hinein. Die Fenster waren alt, das Holz rissig. Es zog immer ein wenig, wenn es draußen stürmte. Aber ansonsten schlossen sie noch gut, die alten Fenster.
Ich lehnte mich hinaus, atmete die frische Luft und lauschte. Lauschte in die tiefe Landschaft, in die Berge, in den Wald. Doch nichts war zu hören. Zunächst genoss ich diese Stille. Mit meinem Morgenkaffee in der Hand stand ich auf der Terrasse und beobachtete die Wolken, wie sie über die Berggipfel zogen. Eine Art Frieden löste es in mir aus. Weiße weiche Wolken, die langsam über einen strahlend blauen Himmel zogen. Ich lies meinen Blick wandern, den Berg hinab, über die Baumwipfel bis zu den Wiesen. Der Morgen war mir die liebste Zeit. Wenn sich die Sonne noch hinter den Bergen versteckte und die obersten Gipfel golden anstrahlte. Es legte sich eine Ruhe auf alles. Eine zufriedene Stille. Freundlich, mit sich und der Welt im reinen. Und diese Stille machte mir heute Angst.
Mein Kaffee war in seiner Tasse kalt geworden. Mein Blick versank in der Endlichkeit der Berge. Kein Vogel stieg aus den Bäumen empor. Und selbst das Plätschern der Bergbäche war nicht zu hören. Mein Magen verkrampfte sich beim ersten Schluck des kalten Getränkes. Fröstelnd drehte ich mich zum Haus und ging hinein. Ein innerer Drang zwang mich die Tür zu verschließen. Ich atmete tief durch. Den kalten Kaffee schüttete ich weg.
Sicher war es besser etwas zu arbeiten. Mit diesem Gedanken ging ich zu meinem Schreibtisch. Die Stille des Waldes klebte auf der Tastatur meines Computers wie Spinnengewebe. Fast panisch schloß ich das Fenster und pustete gelbe Pollenkörnchen vom PC.
Das Dokument lag offen auf dem Bildschirm. Ich hatte gestern noch sehr lange daran geschrieben. Es war sehr spät geworden. Und als ich völlig erschöpft ins Bett gegangen war, umgab mich eine Art Trauer.
Ich las die letzten Seiten um wieder in den Stoff zu finden.
„ … Ein lautes Getöse fing sich im Talkessel. Es brannte an den Bergmassiven empor und riss an den Bäumen. Der Himmel glühte violett und bedrohliche dunkle Streifen rissen die Wolken in Fetzen. Mächtige Druckwellen stießen grollend in die Wälder hinab und zogen alles Leben mit sich mit. Es war kein Wind zu spüren, man hörte nur das Grollen. Die Veränderung in der Luft bemerktest du zu spät. Wenn der Druck dich erst umwarf und dann am Boden entlang zerrte und mitschliff, da war es dann schon zu spät. Nichts konnte dich festhalten. Wie benommen und nach Luft ringend zog dich etwas am Boden entlang und riss dich dann empor und über die Berge hinweg. Nun war alles verstummt. Nichts Lebendes gab es mehr. Zurück blieb eine trostlose Einöde. So hatten sie es gewollt.“
Das war das Ende der Geschichte. Aber hatte ich es so gewollt? Wollte ich, dass es so endete, so völlig ohne Hoffnung. Sollte es derart endgültig sein? Ich starrte aus dem Fenster in die Stille. Der Tag danach. Das war es. Das hier ist der Tag danach. Angst ergriff mein Herz. Ich begann zu zittern. Meine kalten Finger suchten Halt. Ich blickte nach draußen suchte den Himmel nach Vögel ab. Normalerweise stiegen ständig Vögel aus den Bäumen auf. Und diese verdammte Stille. Ich stand auf und ging zum Fenster. Kein Insekt, kein Käfer, nicht einmal eine Spinne, alles war verschwunden. Ich bekam kaum noch Luft. Kalte Wellen glitten über meinen Körper und Schweißperlen bildeten sich auf meiner Stirn. Völlig apathisch saß ich zwei Stunden vor dem Fenster und beobachtete die Landschaft. Es geschah nichts. Nicht einmal die leiseste Bewegung des Windes in den Bäumen nahm ich wahr.
Plötzlich wusste ich was zu tun war. Ich öffnete das Fenster, ließ die Stille hinein, setzte mich an meinen Computer und schrieb weiter.
„... Am Tag danach erfüllte eine bedrückende Stille das Tal. Sie floss zäh wie Honig in jeden Winkel, füllte jede Ritze und deckte die verödete Landschaft zu. Das was noch geblieben war, fiel in einen Schlaf, umhüllt von tiefer zufriedener Ruhe. Und dann streckte die Sonne sich über die Berge. Ihr Licht vertrieb alle Schatten. Sie wärmte den Boden des Waldes, weckte die Blüten der Wiesenblumen. Und sie naschte die honigschwere Stille. Es dauerte noch eine Zeit, aber dann begann es zu Surren und erste Insekten schwirrten durch die Luft.“
Als ich die letzten Worte noch einmal überflog, spürte ich Wärme über meinen Körper streichen. Ich blickte auf und sah die Sonnen ins Zimmer scheinen. Staub tanzte in den goldgelben Strahlen und lockte ein Lächeln auf mein Gesicht. Ich begann mich in der Wärme zu entspannen. Und dann hörte ich es. Erst war es ein fernes Klopfen, dann kam Gezwitscher dazu und in der Ferne rauschten die Wasser aus den Bergen.
Ich nahm die leere Tasse und füllte sie mit frischem heißem Kaffee. Dann ging ich auf die Terrasse, legte mich auf meinen Liegestuhl und genoss den Lärm der Bergidylle.