Der Weg

Der Weg

Der Weg Ihre Hände liegen auf der Zeitung. Sie blickt aus dem Fenster und sieht die hohen Berge. Dünne Wolke steigen aus den Wäldern empor. Es ist noch früh am Morgen und es ist kühl. Sie schnürt ihre Wanderschuhe fest um die Fußgelenke. Im Rucksack sind eine Thermoskanne Tee, einige Äpfel und Brote. Die Zeitung lässt sie ungelesen auf dem Tisch liegen. Langsam steht sie auf, rückt den Stuhl zurecht, nimmt den Rucksack und macht sich auf ihren Weg. Die Tür schlägt kaum hörbar hinter ihr ins Schloss. Sie betritt die Auffahrt vor dem Haus. Der Kies knirscht unter ihren Füßen. Am blauen Himmel steigt langsam die Sonne empor und morgendlichen Vogelgezwitscher erfüllt die Luft. Doch sie hört die Vögel nicht. Noch nicht. Kann sich nicht am Blau des Himmels freuen. Der Weg liegt drohend vor ihr. Sie fröstelt vor Angst. Aber sie muss gehen. Es ist ihr Weg, auf dessen Suche sie sich macht. Langsam setzt sie die ersten Schritte auf den Schotter. Die ersten Schritte sind die wichtigsten. Sie geben die Richtung an. Sie bringen sie erst auf den Weg. Und schon einige Minuten später führen ihre Schritte sie aus dem Dorf. Sie nimmt den kürzesten Weg aus dem Dorf. Das Dorf hat mit ihrem Weg nichts zu tun. Schnell lässt sie den Kirchhof hinter sich und betritt beflügelt die Felder am Dorfrand. Margeriten und Mohn beleben die Wiesen. Und auch sie fühlt sich nicht mehr bedrückt. Nicht vom Bild der Gesellschaft gerahmt. Die Vorstellungen im Dorf sind nur noch aufgebrochene Linien. Sie hat den Weg begonnen und nun nimmt der Weg sie mit. Leicht tanzen ihre Füße über den Pfad zwischen den Wiesen. Und ihre Augen öffnen sich. Die Wiesen sind voller Blumen und ein Lächeln trägt der Wind ihr ins Gesicht. Nun weiß sie, dass es richtig war. Fest entschlossen tritt sie in den Wald. Die kühle Luft, lässt sie aufatmen. Auf dem Feld war es so ruhig und nun bestürzen sie eine Fülle von Geräuschen. Ihr Schritte werden durch die Schatten gehemmt. Sie schleicht nun fast. Der Waldboden verschluckt ihre Tritte. Im Unterholz knackt es und kreischend fliegen Vögel aus den Baumwipfeln ins Freie. Der Waldduft legt sich um sie und hüllt sie ein. Es kommt ihr komisch vor. Sie fühlt sich, wie ein unangekündigter Gast. Sie wird beobachtet. Der Wald beobachtet ihre Schritte. Was sie tut und wie sie sich bewegt. Er wird sie so nicht aufnehmen. Aber das weiß sie noch nicht. Der Tag neigt sich dem Ende und ihre Sie muss auf ihrer Suche eine Pause machen. Der Tee ist nicht mehr heiß, aber angenehm aromatisch. Die Brote sind schnell vertilgt und sie rollt sich in ihrem Schlafsack zusammen. Sie lauscht in die Nacht und weich gleitet sie in den Schlaf. Als sie am nächsten Morgen erwacht, sind es die Sonnenstrahlen die ihre Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Die Sonne bricht nur gelegentlich durch das dichte Blätterdach und das Licht, das den Waldboden berührt scheint fast undurchdringlich. Sie steht auf und beobachtet fasziniert die Veränderung ihrer Finger, wenn sie sie in den Lichtstrahl taucht. Es ist als berühre sie etwas, fein und weich und doch unbeschreiblich dicht. Sie duscht sich in den Sonnenstrahlen. Lässt die Veränderung über ihren ganzen Körper wandern. Langsam setzt sie die bloßen Füße zurück in die kühlen Schatten. Sie kleidet sich an und setzt ihren Weg fort. Als sie die Ruhestelle verlässt und in das Dickicht des Waldes eindringt, bleibt die Schlafmatte zurück. Wie in einem Traum wird sie gezogen, von einem Baum zum nächsten, von einer Lichtung zur nächsten Berganhöhe. Und dann macht sie Rast. Sie sitzt auf der freien Anhöhe und blickt ins Tal. Von Zivilisation ist nichts zu sehen. Der letzte Schluck Tee ist kalt und schmeckt bitter. Sie ist die süßen Äpfel dazu. Tief atmet sie die Umgebung ein. Im frühen Sonnenlicht wabert dünner Nebel in der Senke. Wie ein großer ruhiger See wirkt das unter ihr liegende Tal. Ursprünglich und unergründlich. Was sich darin verbirgt, weiß man nicht. Über ihr kreist ein Greifvogel und fordert sie kreischend zum Weitergehen auf. Sie beendet ihr Frühstück, streckt sich noch einmal im Sonnenlicht der freien Berge und verlässt die kleine Ebene. Sie spürt die Erleichterung auf ihren Schultern. Da ist nichts, was sie noch runter drückt. Sie beginnt zu summen. Die Äpfel sind alle, der Tee auch. Leer liegt der Rucksack auf der Anhöhe. Und sie steigt weiter auf der Suche nach ihrem Weg den Berg hinauf. Hier und da huschen kleine Tiere davon. Zu schnell, um zu erkennen was es war. Aber sie stört sich nicht daran. Manchmal bleibt sie stehen und lauscht ins Unterholz der Büsche. Sieht sie eine Maus oder einen Hasen verharrt sie ganz ruhig und beobachtet das Tier. Sie hat keine Eile auf ihrer Suche. Es ist nicht wichtig wie schnell sie ist. Veränderung braucht Zeit. Und Zeit hat sie jetzt. Zeit sich zu verändern. An einem Bach legt sie die schweren Schuhe ab und kühlt ihre Füße. Sie sitzt lange an dem Wasserlauf und betrachtet das Fließen der kleinen Strömung. Kleine Fische springen auf und tauchen gleich wieder ein. Sie lassen sie vom Bach treiben. Das Wasser ist kühl und erfrischend. Es schmeckt gut und füllt ihren leeren Magen. Sie verlässt den Bach und geht wieder tiefer in den Wald. Die Laubbäume rauschen über ihr und begleiten die Schritte ihrer nackten Füße. Sie tritt vorsichtig auf Moos und herabgefallenes Laub. Der Waldboden ist weich, aber überall liegen Steine und Äste darauf verstreut. Ihre Füße müssen sich erst an ihre neue Freiheit gewöhnen. Sie setzt jetzt ihre Schritte mit Bedacht. Ihre Aufmerksamkeit ist auf jede Kleinigkeit des Bodens gerichtet. Sie kommt nur langsam voran. Ihre Füße tasten sich durchs Unterholz und ihre Hände schieben vorsichtig Zweige beiseite. Sie muss sich Bemühen ihre Suche fort zu setzten. Sie hatte viele Dinge hinter sich gelassen. Viele Sachen sind ihr Verloren gegangen und Neue hat sie gefunden. Schnell findet sie Wasser, wenn sie Durst hat und Vögel weisen ihr den Weg ins Freie hinaus aus dem Wald. Als sie an diesem Morgen erwachte und sich in den Sonnenstrahlen duschte bemerkte sie die Veränderungen an ihrem Körper nicht mehr. Er fühlte sich ganz natürlich an. Sie ließ ihre Kleidung zurück und kehrte der Lichtung den Rücken. Sie bemerkte, dass die Feindseligkeit, die sie anfangs gespürt hatte gewichen ist. Sie wurde nicht mehr beobachtet, sie war aufgenommen wurde. Der Wald öffnete sich, wenn sie hindurch Schritt. Sie sah mit ihren Ohren, mit ihrer Haut und mit den Füßen. Ein Hase sprang an ihr vorbei ohne das er sie zu bemerken schien. Und da sprang sie hinter ihm her. Folgte ihm durch das Geäst und stellte ihn vor seiner Höhle. Sie hatte Hunger. Tagelang hatte sie nichts gegessen. Mit blutverschmierten Händen saß sie vor der kleinen Hasenhöhle. Unter einem Wurzelgeflecht lag sie versteckt. Langsam grub sie die Höhle aus. Sie grub tief in das Erdreich und vergrößerte die Höhle. Dann schleppte sie Laub heran. Als es dunkel wurde krabbelte sie durch den engen Eingang in den kleinen dunklen Bau. Am nächsten Morgen machte sie sich nicht mehr auf die Suche. Sie hatte vergessen, was sie gesucht hat. Ihr Weg endet hier.