Der schwärzeste Tag meiner Laufbahn
Das war der schwärzeste Tag meiner Laufbahn. Ich kann es nicht anders beschreiben. Es lief einfach alles schief, aber auch alles.
Es fing damit an, das Mario zu spät kam. Wir hatten uns für viertel nach drei verabredet und ich wartete bereits zwanzig Minuten auf ihn. So konnte ich nicht arbeiten. Und das sagte ich ihm auch. Ich sagte, «Mario, wenn du immer zu spät kommst, werde ich eines Tages das Ding allein durchziehen.» Ich sprach extra in einer tieferen und raueren Stimmlage, damit er den Ernst der Situation begriff.
Doch der Schwachkopf begriff gar nichts. Er kam weiterhin zu spät und ich kalkulierte weiterhin mindestens 20 Minuten in unseren Zeitplan ein.
Das Ding allein durchziehen. Ha, dass ich nicht lache. Wie sollte man so ein Ding allein durchziehen? Ich nahm nie einen Job an, den man allein durchziehen konnte. Vielleicht sollte ich noch einmal über mein Jobprofil nachdenken?
Also Mario kam endlich und ich spukte die halb gerauchte Zigarette in die Gosse. Es war finstere Nacht und das träge Licht der Strassenlaternen beschien die Umgebung nur sehr schwach.
Ich stand an eine Laterne gelehnt und wartete. Mario trat in seiner lässigen Art auf mich zu.
«Du solltest dich nicht so an die Laterne lehnen, sonst hält dich noch jemand für ne Bordsteinschwalbe.» Er lachte hicksend. So ein Idiot. In meinem Trenchcoat und dem Schlapphut sah ich nicht im entferntesten, wie eine Prostituierte aus. Dann schon eher, wie ein Triebtäter. Vielleicht sollte ich den Berufszweig wechseln. Doch, ich glaube kaum, dass Triebtäter überhaupt etwas verdienten. Gauner hin oder her. Hier ging es um Geld, um viel Geld und dieser Idiot kam mir mit billigen Nuttenwitzen.
Ich packte Mario am Ohr und zog ihn dicht an meine Lippen.
«Einmal, Mario, einmal noch und du bist raus», zischte ich ihm zu. Und das war mein Ernst. Ich konnte es nicht riskieren mich von so einem Schwachkopf in die Scheisse reissen zu lassen, nur weil er die Uhr nicht lesen konnte.
Hätte ich doch damals besser hingeguckt. Die Stellenbeschreibung war einfach zu undeutlich gewesen, da konnte sich ja fast jeder bewerben und bei den Bewerbungsgesprächen, war ich nicht sehr aufmerksam.
Ich war mit Schmerzmitteln voll gepumpt. Kam gerade vom Zahnarzt. Und dann die langen dämlichen Gespräche. Ich war es leid und nahm schliesslich irgend jemanden. Einer der fies aussah. Und das hatte ich nun davon. Aussehen war eben nicht alles.
Wir stiegen in den Kombi. Warum ein Kombi? Warum hatte der Idiot nicht gleich einen Traktor geklaut? Auf dem Rücksitz, natürlich zwei Kindersitze.
«Unauffällig, Mario, unauffällig», knurrte ich und vergrub mein Gesicht in meinen Händen.
«Ne Familienkutsche ist doch unauffällig.» Er zuckte mit den Schultern und grinste blöd. Ja, in einem Einkauszentrum oder an Vormittag in der Vorstadt. Aber ich sparte mir meine Erklärungen. Vor allem war die Familienkutsche langsam und das nervte mich.
Ich war ein Profi, aber mit so einem Personal? Es war wohl an der Zeit, dass ich dringend etwas in meiner «Firma» änderte. Aber darüber konnte ich mir später Gedanken machen. Nun musste ich mich auf meinen Auftrag konzentrieren und die Tatsache verdrängen, dass der wohl dümmste Mensch dieser Welt mein Handlanger war.
Wir fuhren zum Hafen, dort sollte in einer Lagerhalle alles bereit stehen. Ich hatte am Vortag die Gegend bereits abgecheckt. Es war leicht zu finden und durch die Container, die überall herum standen nicht unbedingt gut einsehbar. Dafür bot die Umgebung viele Verstecke und Fluchtmöglichkeiten.
So machte ich das immer. Ich suchte den Ort aus. Er musste abseits sein, das war klar. Gut zugänglich, aber verwinkelt.
Ich liebte den Hafen. Schon als Kind war ich hier herumgestromert. Hab die Matrosen beobachtet, die billige Nutten abschleppten oder zwischen den Tauen sassen und Karten spielten.
Es roch nach brackigem Wasser.
«Willkommen zu Hause», brummte eine Stimme aus der Dunkelheit. Ich hörte Schritte.
«Was willst du hier?», fragte ich Peat. Ich fixierte ihn mit den Augen. Prüfte aber gleichzeitig die Umgebung. Peat war nie allein.
Er hinkte auf mich zu. Jetzt konnte ich noch abhauen. Mit seinem Holzbein würde Peat mich nicht einholen.
«Ich könnte meine Hunde auf dich hetzen, wenn du gerade darüber nachdenkst hier Leine zu ziehen.» Er grinste. Hinter ihm tauchten die schlanken Gestalten von zwei Dobermännern auf.
«Peat. Alter Freund. Wieso sollte ich abhauen?», fragte ich und ging mit offenen Armen auf den Alten zu.
«Bleib mir bloss vom Hals. Wenn du hier bist, sind die Bullen nicht weit. Stets im Schlepptau, hast du das Pack. Du ziehst sie förmlich an. Nicht gut, in deinem Job.»
Was wollte der Alte hier? Das passte mir gar nicht.
Mario kletterte aus dem Wagen.
«Alles klar, Chef?» Er knackte mit den Fäusten und schob seine Lippen zu einer fiesen Grimasse nach oben.
«Bleib ruhig. Das ist bloss ein alter Freund, der jetzt auch gleich weiter muss. Nicht wahr Peat?» Ich sah Peat eindringlich an.
«Ein alter Freund? Sieht eher aus, wie dein Grossvater.» Mario hickste.
«Na na na, halt mal die Füsse still Bürschen, meine Freunde hier hatten noch kein Frühstück.» Peat nickte zu den Dobermännern, die sich nun neben ihn stellten.
«Peat. Peat», sagte ich beschwichtigend. «Der Junge weiss es nicht besser, er hat kein Benehmen. Und ausserdem ...» Ich sparte mir den Rest, denn ich sah in Peats Augen die Erkenntnis aufblitzen. Peat hatte bemerkt, dass Mario nicht der klügste war.
«Also, was willst du hier?»
«Spazieren. Hafenluft schnuppern», sagte ich.
«Und Geschäfte machen», fügte Peat hinzu. «Mach mir bloss keinen Ärger. Ich will hier keine Bullen sehen. Verstehst du?» Er sah mir tief in die Augen.
Als Kind hatte ich oft auf seinem Schoss gesessen und mit einem Stock auf sein Holzbein getrommelt. Grossvater war gar nicht so verkehrt gewesen. Wahrscheinlich war Peat so etwas ähnliches für mich.
«Ich doch nicht. Peat. Peat.» Ich breitete erneut die Arme aus und deutete eine freundschaftliche Geste an.
«Du hast mich schon einmal in den Knast gebracht.»
«Peat. Das ist lange her und das war ein Versehen.»
«Das ist es doch immer bei dir?» Er schüttelte resigniert den Kopf, drehte sich um und ging. Im Gehen pfiff er nach den Hunden und ich hörte hinter mir Mario aufatmen. Er hatte wirklich Angst gehabt.
Ich lauschte in die Nacht. Nichts. Die Luft war rein. Wir gingen zu den Containern und versteckten uns. Peats Erscheinen hatte uns einiges an Zeit gekostet. Ich konnte also nichts mehr vorbereiten. Ich wollte noch in die Lagerhalle schauen. Doch es blieb keine Zeit. Schon hörte ich ein Auto näher kommen. Leise knirschte das Salz unter den Rädern der Limousine.
Sie hielt im Schatten zwischen den Containern. Verdammt. So konnte ich überhaupt nichts sehen. Und Mario lehnte sich über meinen Rücken. Sollte ich ihn auf die Schultern nehmen, oder was sollte das? Ich stiess ihn weg und legte ihm sofort meine Hand auf den Mund, bevor er etwas sagen konnte. Seine Augäupfel quillten aus den Höhlen und er fuchtelte wild mit den Armen. Er bekam keine Luft mehr. Ich hätte ihm nicht auch noch die Nase zuhalten sollen. Leider bemerkte ich das erst, als er ohnmächtig neben mir zusammensackte.
Autotüren schlugen zu. So ein Mist und ich war allein. Deutlich hörte ich die Schritte mehrere Paar Schuhe. Gute Schuhe, teure Schuhe. Es half nichts. Ich musste das nun doch allein durchziehen.
Ich sprang aus meinem Versteck.
«Ha, das hättet ihr wohl nicht gedacht. Ihr dachtet, ihr könnt hier einfach so mit der Ware herum spazieren. Es euch auf einem der netten, kleinen Dampfer da drüben gemütlich machen und ab in die Ferien.
Aber daraus wird nichts. Gebt mir die Ware.» Ich stellte mich breitbeinig und mit gezogener Waffe vor die zwei schrankwandgrossen Bodyguards. In ihren Gesichtern zuckte ein kleines, abfälliges Lächeln. Hinter ihnen lachte jemand leise und schäbig.
«Was soll das? Hmm, was willst du hier? Ich mache mit meinen Jungs einen kleinen Spaziergang. Daran ist doch nichts auszusetzen», sagte eine zarte männliche Stimme. Die schmarte Gestalt eines attraktiven, jungen Mannes kam auf mich zu. Er strich sanft über meine Waffe und berührte dabei meine Finger.
«Abknallen», sagte er dann an seine Jungs gewandt.
«Daraus wird nichts», sagte ich und rollte auch schon zur Seite. Ha, das hatte er nicht erwartet. Doch ich stolperte über Mario, der immer noch bewusstlos am Boden lag. Mario, dieser Idiot. Konnte er nicht aufwachen und mir den Arsch retten? Immerhin war das seine Spezialfähigkeit und so ziemlich alles was er konnte.
«Mario», schrie ich und packte ihn am Kragen. Doch er wollte nicht zu sich kommen. Ich werde ihn doch nicht umgebracht haben? Erschrocken sah ich Mario an. Und er sah zurück.
«Reingelegt», hickste er und lachte dümmlich. Ich liess ihn fallen und er knallte mit dem Hinterkopf auf den Asphalt. Da spürte ich den kühlen Lauf einer kleinkalibrigen Waffe an meiner Schläfe.
«So, und jetzt ganz langsam aufstehen.» Ich bewegte mich in Zeitlupe. Schielte im aufstehen vorsichtig über meine Schulter. Fetti, einer der Schrankwandbodyguards stand hinter mir und grinste frech.
«Okay, okay», sagte ich und drehte mich mit erhobenen Händen um.
«Wir wollen doch beide das Gleiche.» Ich sprach an den Möbelpacken vorbei ihren smarten Boss an.
«Ach, wollen wir das?», fragte er mich und sah aus finsteren zugekniffenen Augen zu mir herüber.
«Sicher. Sicher. Ich will nur die Ware. Und du doch auch.» Ich zeigte auf die Kiste hinter ihm.
Er drehte sich um. Und sah nachdenklich den Karton an.
«Okay. Okay. Du kannst den hier haben.» Er ging zur Seite und liess mich vorbei.
Misstrauisch schlängelte ich mich an den Bodyguards vorbei und schnappte mit die Kiste.
Ich rannte damit in die Schatten der Container. Schon hörte ich Schritte hinter mir. Hoffentlich war das Mario. Ich brauchte ihn nun dringend. Ich stürmte auf die Lagerhalle zu und stürzte hinein.
«Da bist du ja endlich. Und du hast anscheinend auch alles dabei.» Die Kiste wurde mir aus der Hand gerissen und geöffnet. Schon flogen Papierschlangen, Konfettitüten und Luftballon heraus.
«Wo ist der Rest?», fragte die enttäuschte Stimme.
«Kommt noch», keuchte ich.
«Ihr habt doch nicht wieder guter Gangster, böser Gangster gespielt? Dass ihr Kleinkriminelle immer so ein Theater aufführen müsst, wenn der Boss Geburtstag hat. Nun häng endlich das Transparent auf.»
Widerwillig knurrte ich. «Ich war aber der Gute.» Dann warf ich eine Hand voll Luftschlangen in die Luft und das Licht in der Lagerhalle erlosch.