Alma und Flora und die Erkältungsparty

Ich bin Alma. Ich wohne in einem kleinen Haus mit Veranda. Meine Freundin Flora kommt oft zu Besuch. Wir sind nicht mehr die Jüngsten. Aber wer kann das schon von sich selbst behaupten? Wir leben seit über siebzig Jahren in Scheresund, der wunderbarste Ort, den ich mir vorstellen kann. Mit einem zauberhaften See, kleinen Häusern und schiefen Briefkästen.

Einmal war ich krank und lag im Bett. Ich hatte Halsweh und riesige Rotzetropfen hingen mir von der Nase. Ich schniefte und hustete. Dass das noch ein lustiger Tag werden sollte, konnte ich da noch nicht wissen.

Der Tag fing nämlich scheusslich an. Ich streckte mich und spürte im linken Zeh ein kribbeln. Er wollte nicht aufstehen, das wusste ich sofort. Dann kribbelte mein rechter Zeh. Nun, was war das? Wollte der auch nicht aufstehen, dachte ich. Was sollte ich tun, wenn die Zehen nicht aufstehen wollten?

Ich setzte mich mit viel Mühe aufrecht hin. Da spürte ich auch schon einen widerwilligen Stich im Rücken. Nun tritt auch noch der Rücken in den Streik.

Ich zog die Decke von meinen Füssen und wackelte mit den Zehen. Die Zehen wackelten zurück und ich verstand, ihnen war kalt. Also schlüpfte ich in meine dicken Wollsocken, die ich wie kleine Mützen über die Bettpfosten gestülpt hatte. Nun musste ich mich noch um meinen Rücken kümmern. Vielleicht war ihm auch kalt?

Über der Lampe auf dem Nachtisch hing mein Wollpullover, den ich einmal begonnen hatte zu stricken. Dann aber hatte ich kein Garn mehr und so hatte der Pullover keine Ärmel. Das machte aber nichts, denn meine Arme kribbelten nicht.

Ich zog den ärmellosen Pullover über und ging in die Küche. Während ich mir Tee kochte, klopfte jemand ans Küchenfenster.

«Was stehst du da so krumm herum?», fragte die gedämpfte Stimme von Flora durch das Fensterglas. Sie grinste mich breit lächelnd an.

Ich nahm mir ein Papiertaschentuch und trompete laut hinein und Flora verstand. Sofort verschwand sie wieder.

Mein Tee war fertig, aber ich spürte, dass der Streik sich auf meinen ganzen Körper auszubreiten schien. Ich musste zurück ins Bett. Mit der Teetasse in der Hand und einer Scheibe Knäckebrot stieg ich die Treppen zu meinem Schlafzimmer wieder hinauf.

Und ich stieg und stieg und die Treppen wurden länger und länger. Heute nahmen sie einfach kein Ende, diese doofen Treppe. Ich schimpfte leise vor mich, wer denn überhaupt so ein Haus baut, mit Treppen.

Ich liess mich rücklings ins Bett fallen, als ich endlich auf Mount Scheresund angekommen war. Heute war kein Tag zum aufbleiben, heute war überhaupt kein Tag. Mein Kopf dröhnte, wie eine ganze Flugzeugflotte und in meinen Ohren sausten tausend Stürme. Ich zog mir die Decke über den Kopf und versteckte mich vor der Welt.

Es klappte nicht. Die Welt fand mich. Sie riss mir, in Form von Flora die Decke vom Kopf und plumpste auf mein Bett.

«Was machst du da? Wenn du Verstecken und Suchen spielst, musst du dich aber besser verstecken. Ich habe dich ja sofort gefunden.»

Ich sah Flora aus verquollenen, triefenden Augen an. Ich konnte es nicht mehr leugnen.

«Ich bin krank», schniefte ich in mein Taschentuch.

«Das ist ja wunderbar», rief Flora und klatschte in die Hände. «Auf so etwas habe ich gewartet. Ich wusste es nur nicht. Und du auch nicht. Aber es ist wohl so.»

Sie sprang auf und schleppte einige bunte Tragetaschen ans Bett. Dann packte sie aus. Ein Fläschen Sekt, dazu zwei Gläser, ein dickes Buch, Zeitungen, Taschentücher, einen dicken Schal, eine Wollmütze, Strickzeug, Likörchen, Topflappen …

«Warum Topflappen?», fragte ich dazwischen. Sie zuckte mit den Schultern.

«Warum nicht?» Dann noch Kräuter, Obst und Schokolade.

Flora balancierte auf dem Bettgestell und band die Kräutersträusschen über dem Bett fest, stellte Sekt und Likör auf den Nachtisch und all die anderen Sachen drapierte sie auf dem Bett. Dann schlüpfte sie mit unter die Decke.

Sie sah mein fragendes Gesicht. Ich lächelte, aber wunderte mich auch.

«Wir machen eine Erkältungsparty», sagte sie begeistert.

Das war ja eine tolle Idee. So etwas hatte ich noch nie gemacht. Schon war der Streik in mir beendet. Ich war ganz aufgeregt. Eine Party ist doch immer etwas schönes.

Flora stülpte mir die Mütze über und band mir den Schal um.

«Für dich», strahlte sie. Ohh, waren die schön kuschelig weich. Und warm waren sie auch. Sie passten perfekt zu meinen Socken und dem Ohneärmelpullover.

Auf mein Kopfkissen stellte Flora eine Rolle Klopapier. Um die Rotzwasserfälle meiner Nase zu stoppen, meinte sie. Das war ziemlich klug, denn die Papiertücher waren schon fast aufgebraucht.

Wir tranken Likörchen und Flora las mir aus der Zeitung vor.  Das war so lustig, dass ich vom Lachen Bauchschmerzen bekam. Denn Flora las hier eine Zeile, da ein Wort und dort eine Zeile. Am Ende hatte sie zwar die ganze Zeitung gelesen, doch wir wussten nicht, was darin stand, oder wir wussten es anders.

«Das machen wir jetzt immer so», sagte ich. Denn so die Zeitung zu lesen, macht viel mehr Spass.

Flora blieb den ganzen Tag. Wir assen Schokolade und Kekse und krümelten das Bett voll. Wir tranken Tee und Sekt und Likör und wir lachten.

Am Abend las mir Flora aus dem dicken Buch vor, dass sie mitgebracht hatte. Ich weiss nicht mehr, was darin stand, aber es war sicher eine unglaubliche Geschichte. Doch ich war beim Vorlesen eingeschlafen, so müde war ich von der ganzen Party geworden.

Als ich am nächsten Morgen aufwachte, ging es mir schon viel besser. Von der Party war nichts mehr zu sehen, nur noch die Kräuter hingen über meinem Bett und die bunten Topflappen lagen einsam auf dem Nachtisch.

Das war ein toller Tag. Von nun an freue ich mich über jeden Schnupfen, denn dann kommt Flora zur Erkältungsparty vorbei.