Alma und Flora und der Badeausflug

Alma und Flora und der Badeausflug

Hallo, ich bin Alma. Ich lebe in einem kleinen Dorf im Norden. Und das schon sehr lange, seit meiner Geburt, um genau zu sein. Das ist nun schon über 70 Jahre her und ich kann mich an die genauen Umstände nicht mehr erinnern. Woran ich mich aber noch gut erinnern kann, ist der Badeausflug mit meiner Freundin Flora letzte Woche. Das war ein Spass. Das war nämlich so...

Im Januar sind hier alle Seen zugefroren, auch der Gänsesee, der nur so heisst, weil wir dort einmal eine Gans im Wasser gesehen hatten, die…, aber das ist eine andere Geschichte.

Also, es war ein herrlicher strahlend blauer Tag. Ich sass, wie ich es manchmal so tat, auf der Veranda und streckte mein Gesicht in die blasse Sonne.

«Davon wirst du auch nicht jünger», rief mir eine vertraute Stimme zu.

«Jünger nicht, aber schön braun», lachte ich zurück. Das fand Flora wohl auch zum Lachen. Immerhin waren wir beide schneeweiss, wie die Landschaft.

Flora ist schon viele Jahre meine Freundin. Wir sind sozusagen unzertrennlich. Aber jede hat ihr eigenes Haus. Und nun schleppte sich diese, meine langjährige Freundin die Verandatreppen hinauf. Sie trug eine grosse bunte Tasche auf ihrem krummen Rücken, dazu passende grüne Gummistiefel, einen rotbraunen Wollmantel und eine lila Strickmütze.

«Wo du dich schon sonnst, könnten wir auch gleich baden gehen», meinte sie und sah mich fragend an. Ich dachte nach. Ich war schon lange nicht mehr baden.

«Es ist niemand am See. Wir haben ihn ganz für uns allein.» Flora stellte die schwere Tasche ab.

«Haben wir noch Winter?», fragte ich Flora. Sie nickte.

«Ist der See noch zu gefroren?» Wieder nickte sie.

«Und badet man nicht für gewöhnlich im Sommer, wenn es schön warm ist und die Sonne scheint?» Wieder nickte Flora. Dann hob sie einen Finger.

«Aber das ist es ja. Dann ist der See wieder völlig überlaufen. Heute ist niemand da, und die Sonne scheint auch.»

Als sie das sagte, strahlte sie heller, als es die Sonne im Januar konnte. Kleine graue Strähnen kringelten sich unter ihrer Wollmütze hervor.

«Was ist nun, kommst du mit?», fragte Flora ungeduldig.

Natürlich kam ich mit. So etwas liess ich mir doch nicht entgehen. Wo wir doch den ganzen Gänsesee für uns allein hatten. Ich packte schnell meine Badesachen ein, den roten Badeanzug, Badekappe und Handtuch, dazu eine ordentliche Picknicktasche und schon ging es los.

Wir banden die Taschen auf dem grossen Schlitten und Flora, die ein wenig zierlicher war als ich, durfte sich hinten drauf setzen. Ich zog an der Schnurr und schon setzte sich das Gefährt in Gang.

Flora juchzte vor Freude. Sie umschlang fest die Taschen und baumelte mit ihren Beinen in der Luft herum.

Der Schlitten malte tiefe Spuren in den Schnee. Ich zog mit aller Kraft und Flora lachte so sehr, dass sie beinahe hinten vom Schlitten fiel. Das war ein Spass. Nur gut, dass die Strasse zum See etwas bergab ging und schliesslich der Schlitten, fast von allein fuhr. Flora winkte mit den Armen und stimmte ein fröhliches Lied an. Und ich sang laut mit. So ging der Weg viel schneller und schliesslich waren wir schon am Gänsesee.

Er war so schön, wie er im Sommer nicht sein konnte. Herrlich weiss und völlig ruhig. Wir gingen zum Steg, denn der Steg war die beste Badestelle, fanden wir.

Der Schlitten war unsere Bank, dort legten wir alle Kleider ab, Wollmantel und Strickjacken, Pullover, Hosen, Handschuhe und die Stiefel. Nur die dicken Wollsocken behielt ich noch an. Sie passten so gut zu meinem leuchtend roten Badeanzug, dessen Hosenbeine mir bis fast zu den Knien reichte.

Flora schob ihre weisse Lockenpracht gerade unter ihre Badekappe, da plumpste auch schon ein schwerer Stein auf die Eisfläche und durchschlug sie. Ein zweiter Stein schlug daneben ein und noch einer. Acht Steine brauchten wir, um ein annehmbares Loch zu schaffen.

Doch dann war es soweit. Flora kehrte dem See ihre Rückseite zu und stieg langsam die Leiter vom Steg hinab. Laut kreischend streckte sie ihr Bein ins Wasser.

«Und?», rief ich ihr zu.

«Was und? Kalt», antwortete sie. Und lachte. Sie liess ihren ganzen Körper ins kalte Wasser gleiten und prustete, wie ein Walross.

Man konnte kaum schwimmen, dafür war das Loch zu klein, aber tauchen ging. Ich wartete, bis das Walross wieder auftauchen würde. Und da kam es. Nun prustete es noch lauter als zuvor. Nein, war das denn möglich, war Flora etwa ein Elefant?

Ich stieg zu dem Florafant hinab und schrie kurz auf, als tausend Nadeln sich durch meine weiche Haut zu bohren schienen. Doch nach drei Zügen im eisigen Wasser, war das Nadelkissen vergessen und wir hatten nur noch Spass.

Flora spritzte mit dem klaren Wasser kleine Fontänen in die Luft und ich schlug Salto, wie ich es nie hätte auf unserer Wiese tun können. Obwohl ich das nicht weiss, denn ich hatte es noch nie ausprobiert.

Nach einigen Minuten stieg ich wieder heraus. Ich kuschelte mich in meine, zur Seite geworfenen Wollsocken und mein flauschiges gelbes Handtuch. Das Gelbe ist das Flauschigste, wahrscheinlich, weil es so gelb wie ein Küken war.

Ich suchte in meiner Picknicktasche nach zwei Bechern. Bald quoll aus der Thermoskanne herrlich duftender Kakao in die Tassen. Eine reichte ich Flora, die einfach nicht genug vom Planschen bekommen konnte und noch immer im Eisloch hockte und mit den Beinen Wellen machte.

Wir blieben noch den ganzen Nachmittag, naja bis eben die Sonne unterging. Ins Wasser gingen wir nicht noch Mal, das war uns dann doch zu kalt. Wir sassen auf dem Steg mit Kakao und Butterbroten und in unsere warmen Mäntel gehüllt und träumten vom Sommer.

Es wurde langsam dunkel und wir mussten nach Hause gehen. Etwas traurig schlurften wir durch den Schnee zurück. Flora legte ihren Arm um meine Schulter. So ist das wohl immer, wenn etwas schönes vorbei geht. Aber im Herzen brannte nun ein kleines Flämmchen Freude.